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Späth muß AKW Obrigheim ausknipsen

■ Sensationelles Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs bestätigt: Uraltreaktor bei Heidelberg war mehr als 20 Jahre schwarz in Betrieb / Gerichtsentscheidung krachende Ohrfeige für Späth

Heidelberg (taz) - Das Atomkraftwerk Obrigheim wird heute stillgelegt. Nachdem der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) am Mittwoch die Auffassung von AKW-Gegnern bestätigt hatte, daß der Uraltreaktor seit mehr als 20 Jahren ohne gültige Genehmigung produziert, war Ministerpräsident Späth gezwungen, den Atommeiler vorläufig stillzulegen.

Der Verwaltungsgerichtshof schloß sich in seinem Urteil vollständig der Argumentation von fünf klagenden Atomgegnern an. Schon 1987 hatten die baden-württembergischen Grünen zufällig entdeckt, daß das älteste kommerzielle Atomkraftwerk der Bundesrepublik seit 1968 lediglich über eine Genehmigung für den „Anfahr- und Probebetrieb“ verfügt. Neben den von den Klägern formulierten Sicherheitsbedenken gegen die Altanlage war dieser dreiste Rechtsbruch Gegenstand ihrer Klagen.

Damit sie den Reaktor nicht sofort vom Netz nehmen mußte, hatte die Landesregierung eine Rechtsauffassung konstruiert, nach der sich eine Genehmigung für den Dauerbetrieb quasi aus der Summe der Teilgenehmigungen automatisch ergebe. Dieser Notausgang ist vom VGH vollständig versperrt worden. Für die Richter gab es keinen Zweifel, daß der Betrieb des AKWs weit über das hinausgeht, was durch die vorhandenen Genehmigungen abgesichert ist. Daß das AKW als illegaler „Schwarzbetrieb“ anzusehen ist, ergebe sich schon daraus, daß auch die letzte Teilgenehmigung lediglich den „Probebetrieb unter Ausschluß des Dauerbetriebs“ erlaube. Für den Übergang zur Stromproduktion wäre danach in jedem Fall ein weiterer Genehmigungsschritt nötig gewesen (AZ: 10 S 2495/89).

Wenige Stunden nach dem Urteil wies Späth das Umweltministerium an, die Stillegung des AKWs vorzubereiten

-vorläufig auf drei Monate befristet. Doch auch wenn Vertreter des Badenwerks jetzt ankündigten, daß sie durch Nachrüstungen ihre Schwarzanlage legalisieren wollen, geben die siegreichen Kläger diesem Vorhaben keine Chance. Daß Obrigheim legal wieder ans Netz gehe, sei, so Klägeranwalt Becker, schon deshalb unwahrscheinlich, weil die Uraltanlage für eine Neugenehmigung die heute geltenden Sicherheitsanforderungen niemals erfüllen könne.

Als „sensationellen Erfolg“ bezeichnete der grüne Landtagsabgeordnete Rezzo Schlauch die Mannheimer Entscheidung, weil das Gericht die jahrelang von seiner Partei vertretene Rechtsauffassung voll bestätigt hatte. Noch am Mittwoch reichten die Grünen zudem einen Antrag ein, auch das AKW Neckarwestheim vom Netz zu nehmen: Auch hier liegt keine Dauergenehmigung vor.

Rolf Gramm

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