In der Sowjet-Botschaft Unter den Linden

■ Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands kategorisch abgelehnt / Sowjetischer Truppenabzug aus DDR „wegen Wohnungsmangel“ gestoppt

Berlin (taz) - „Vor dieser Botschaft dürfen Sie doch kein Fahrrad abstellen.“ Der Polizist vor der sowjetischen Botschaft Unter den Linden fürchtet um die Würde des Ortes. „Das müssen Sie auf der anderen Straßenseite tun. Ich hatte sowieso gedacht, daß Sie mit dem Auto kommen würden.“ Erst der Hinweis, daß sich auch beim innerstädtischen Verkehr eine Wende abzeichnet, besänftigt den Grünberockten soweit, daß er den Eingang freigibt. Michail Logwinow, Botschaftsrat für Information, hatte im Konferenzsaal im ersten Stock zu einem Pressegespräch geladen. Hinauf kommt man durch ein Treppenhaus voller Marmor, Kristallüster und Spiegel stalinistischer Zuckerbäckerbarock. Am großartigsten aber ist der Treppenaufgang: Man schreitet auf ein riesiges Glasmosaik des Spasskij-Tores zu, davor eine überdimensionale Lenin-Büste. Nun weiß man: Man ist in Moskau.

Ob sich am Charakter der Beziehungen zwischen der Botschaft und der Regierung der DDR in den letzten Monaten etwas geändert habe? Davon war dem Leiter der außenpolitischen Abteilung, Botschaftsrat Wladimir Grinin, nichts bekannt: „Die Kontakte zur Regierung der DDR sind nach wie vor intensiv“, „die DDR - solange es sie gibt - war und bleibt für uns ein wichtiger Partner.“ Um das absehbare Ende dieses Staates ging es denn auch bei diesem Pressegespräch. Im Vorfeld des Gipfeltreffens von Gorbatschow und Bush, Ende Mai, wurde die sowjetische Position zur deutschen Vereinigung noch einmal dargelegt. „Die größte Differenz zwischen USA und UdSSR“ bestehe hinsichtlich des „militärpolitischen Status des vereinigten Deutschland“. Die von den USA geforderte Einbindung Gesamtdeutschlands in die Nato würde - so Grinin - zur „Verletzung des Kräftegleichgewichts und der strategischen Balance“ in Europa führen und sei „unannehmbar“. Erforderlich seien gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen, die aufbauen auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und an die Stelle der alten Bündnisse treten. Weitere sowjetische Forderungen: völkerrechtliche Anerkennung der Grenzen und Verzicht Deutschlands auf Atomwaffen.

Eine Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands - so Grinin „widerspricht vitalen Interessen unseres Staates“ und den „geschichtlichen Erfahrungen“. „Weder das Volk noch das sowjetische Parlament werden dem zustimmen.“ Die Sowjetunion wolle dem Einigungsprozeß „keine Barrieren“ in den Weg legen, doch bei den 2+4-Verhandlungen werde man erst dann schneller vorankommen, wenn die drei Westmächte in dieser Frage Kompromißbereitschaft zeigten. Die sowjetische Position ist dabei nicht ohne Widersprüche: Einerseits wird gefordert, „daß bei der deutschen Einigung alle Fragen, auch die außenpolitischen, gelöst sind“ (Grinin). Andererseits würde - meint Botschaftsrat Logwinow - die Entwicklung, da die Deutschen es so eilig haben, „logischerweise zur Entkopplung“ der inneren und der außenpolitischen Aspekte führen. Was aber wenn „die Deutschen“ trotz sowjetischer Einwände staatliche Einheit und Nato-Mitgliedschaft vollziehen? Der Spezialist für Außenpolitik, Grinin, mag auf eine so hypothetische Frage nicht antworten. Der für Öffentlichkeitsarbeit zuständige M. Logwinow meint, das würde die innenpolitische „Position Gorbatschows sehr schwierig machen“ und das wolle doch angeblich niemand im Westen. Auf die Frage eines Journalisten hin kommt man dann noch auf den einseitigen sowjetischen Truppenabzug aus der DDR zu sprechen. Er ist vorerst gestoppt. Als Grund wird angegeben, es fehle in der Sowjetunion an Wohnungen für die zurückbeorderten Offiziere. Den Vorschlag, die Wehrpflichtigen zu ihren Eltern nach Hause zu schicken und vorerst nur die Offiziere hierzubehalten, will man „an das Oberkommando weiterleiten“.

Walter Süß