Die Hoffnungsträger aus dem Osten

■ Der Katholikentag in Berlin zehrte von der Rolle der Kirchen in Osteuropa

Es war kein Zufall, daß eine Frau aus dem Osten zum heimlichen Star des deutschen Katholikentages in Berlin avancierte: Litauens Ministerpräsidentin Prunskiene verkörperte für viele junge Katholiken die Hoffnung auf eine Kirche, die sich auch zum Träger einer demokratischen Erneuerung macht. Für die katholische Amtskirche im Westen wurden die Brüder und Schwestern im Osten damit zu einem Symbol eigener Legitimation.

Vor den Portalen der Rosenkranz-Basilika in Berlin-Steglitz liegen Listen aus. Wer sie unterschreibt, der fordert nichts weiter als „eine freie Abstimmung aller Betroffenen“, der engagiert sich für die „Zukunft“ - von Schlesien, Oberschlesien, Ostbrandenburg, Pommern, Ostpreußen und Westpreußen. Im Inneren des wilhelminischen Kuppelbaus drängen sich 2.500 oder 3.000 Menschen. „Einer guten Tradition der Katholikentage entsprechend“ eröffnet der Limburger Weihbischof Gerhard Pieschel die „Eucharistiefeier der Heimatvertriebenen“. Den Gläubigen steht Glück in den Augen. Der Weihbischof gibt ihnen, was sie erwarten: Er spricht so, wie Kohl sprechen würde, säßen ihm nicht Genscher und Baker im Nacken. Immerwieder unterbricht Beifall die Predigt. Zu Völkerrechtsfragen habe sich die Kirche nicht zu äußern, zu denen der Heimat aber sehr wohl „mit Gott überspringen wir alle Mauern“. Doch Pieschel durchbricht sein eigenes Gerede, dankt Solidarnoc, den katholischen Brüdern und Schwestern in Polen, dem polnischen Papst, die für das Fallen der Mauern die Voraussetzungen schufen. Kein Beifall. Ein Grundthema des Katholikentags deutet sich an: Die Erfolge der jeweiligen Kirchen bei den Umbrüchen im ehemaligen „Ostblock“ strahlen aus, sie geben den Kirchen im Westen neue Legitimation, neue Perspektiven des Handelns.

Um Heimat geht es an diesem Samstag morgen auch zehn Kilometer weiter in der Kongreßhalle, genauer: um das „Heimatrecht des jüdischen Geistes in Europa“. Nachdem „Europa Friedhof der Juden geworden ist“, komme es nun darauf an, die „wurzelhafte Bedeutung Israels für die Kirche“ zu erkennen. 300 bis 400 Leute verteilen sich in der unteren Hälfte des Saals. Obgleich als „Forum“ angekündigt, plätschern die wohl schon öfter vorgetragenen Gedanken des Prof. Dr. Johann Baptist Metz aus Münster schier endlos zum Thema „Kirche nach Auschwitz“. Metz wandert mit Paulus (Jude), den die Griechen (Europäer) nicht so recht verstehen, in Athen über den Areopag, durchschreitet dann „das Haus Europa“, und schließlich lernt das in jeder Weise wohlerzogene Publikum: „Christus als jüdischen Mann, Maria, die Gottesmutter, als jüdische Frau annehmen“, das eben sei Kirche nach Auschwitz. Fast. Gäbe es da nicht noch ein ganz besonderes Erbe: „Die jüdische Mitgift für Europa ist das Bewahren von Auschwitz gegen das Vergessen.“ Kein Protest. Beifall, ehrlicher Beifall, lohnt die schönen Erkenntnisse aus dem Repertoir des christlich-jüdischen Dialogs. Nur einer fragt insistierend und vorbei an der „Anwältin des Publikums“: „Warum“, fragt der Mann in der ersten Reihe, „hat die Kirche nach 1945 die namentliche Nennung der 12 Stämme Israels aus der Lithurgie verbannt und das Fest der Beschneidung des Herren, das am Oktavtag nach Christi Geburt gefeiert wurde, abgeschafft und in einen Marienfeiertag umgewandelt?“ Warum? Kurze, knarrende Sendepause auf dem Podium. Aber dann, presto: Da sei ein sehr spezielles, „ein Thema für sich“ angesprochen worden, meint Metz, der Einbruch des Feminismus werde damals aber noch keine Rolle gespielt haben... Soviel Witz erfreut die jungen Zuhörer. Der Fragesteller bleibt allein.

Der Müll blieb liegen

Soweit die Peripherie des Katholikentages. Im Zentrum, dem Messegelände unter dem Funkturm liegen die Widersprüche offen. Die feministische Theologin Hedwig Meyer-Wilmes -Müller fordert: „Genau wie es eine protestantische Kirche und eine Kirche der Dritten Welt gibt, sollten wir uns als eigene Frauenkirche bezeichnen!“ Das nächst Mal, 1992 in Karlsruhe, müsse es nicht nur einen „Katholikentag von unten“, sondern auch einen „Frauenkirche-Katholikinnentag“ geben. Tatsächlich scheint nur das Projekt „Mädchen als Meßdiener“ der Verwirklichung nahe.

Am Samstag befürchtet Umweltminister Klaus Töpfer für eine Sekunde das Schicksal Lafontaines zu erleiden: Ein Mitglied des Zentrums „Schöpfung und Umwelt“ hatte das Podium gestürmt, tat aber nicht mehr, als den versammelten Umweltdiskutanten ein Sack voll Müll vor die Füße zu kippen und eine Kommando-Erklärung zu verlesen: „Mit Unverständnis reagieren wir auf die Einwegverpackungen beim Katholikentag. Das Mittagessen wird zum Beispiel in einer aufwendigen Aluminiumverpackung verteilt; der hierfür notwendige Rohstoff Bauxit wird schwerpunktmäßig in den Regenwaldregionen Lateinamerikas abgebaut.“ Der Müll bleibt liegen. Töpfer redet weiter.

Der an vielen Stellen vorgetragene Vorwurf, die katholische Kirche sei in der DDR nichts weiter gewesen als „Trittbrettfahrer“ der Protestanten, kontert der Klerus fast wütend: „Nein“, sagt der neue Berliner Bischof Georg Sterzinsky, „wir waren es, die niemals die alten Bistumsgrenzen verändert, nie an offiziellen Staatsempfängen teil genommen haben.“ Und in deutlicher Anspielung auf die bis zum 9. November halbamtliche Position der Evangelischen Kirche der DDR: „Wir haben nie gesagt, daß man den Sozialismus verbessern, sondern, daß man ihn nur abschaffen kann.“

Der Star war eine Frau

Der heimliche Star des Tages ist jedoch Litauens Ministerpräsidentin Kazimiera Prunskiene. Die Ministerpräsidentin gehört zu den Hoffnungsträgerinnen des Katholikentreffens. „Nein“, ihre Politik gefährde Gorbatschow nicht: „Sie gibt ihm die Chance, sich auf seinem riskanten Weg zwischen reaktionären und demokratischen Kräften in der Sowjetunion eindeutig mit den Demokraten zu verbünden.“ Die Minderheitenrechte wurden, darf man Prunskiene glauben, in Litauen schon immer geschützt. „Wir haben da eine gute Tradition.“ Das Publikum klatscht, als hätte es in Wilna oder Kowno Pogrome nie gegeben.

Die Zusammensetzung des Podiums in diesem völlig überlaufenen Forum ist klassisch: Eine Politikerin, die für „verantwortungsgebunde Praxis“ steht, eine Wissenschaftlerin - in diesem Fall die Politologieprofessorin Gesine Schwan die moderiert und notfalls mit Fakten aushilft, und ein Theologe, der für die moralisch-theologische Einbindung des Ganzen steht. Die Politikerin Prunskiene ist Katholikin und repräsentiert die neue katholische Kirche, die ihre Kraft aus dem Osten bezieht und die sich, nachdem sie jahrhundertelang gegen Freiheit und Revolution stand, plötzlich zur seligmachenden, die Schöpfung bewahrenden Instanz für Freiheit und Moral entwickeln will. Den Part der moralisch-theologischen Einbindung übernimmt auf diesem Podium selbstverständlich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann persönlich: Er plädiert nicht für Freiheit, sondern formuliert „Sympathie für das Freiheitsstreben“, er mahnt vor zuviel europäischer „Selbstbeschäftigung“, vor einem Vergessen der „Menschen in der südlichen Hemisphäre“ und fordert den Aufbruch mit einer Prophezeiung Hoseas: „Nehmt Neuland unter den Pflug, dann wird er kommen und euch mit Heil überschütten.“ So gelingt es, die Gegensätze zwischen oben und unten, zwischen Freiheit und Dogma immer wieder zu überbrücken. Und nicht ganz zu Unrecht kann die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Rita Waschbüsch, resümieren: „Wir haben die Menschen abgeholt.“

Götz Aly