„Das Grundgesetz ist nur ein Provisorium“

■ Bremer haben in den Protokollen der BRD-Gründungsväter und -mütter geforscht

Die Bremer Gruppe der bundesweiten „Demokratie-Initiative 90“, hervorgegangen aus der einstigen Beuys'schen „Initiative Volksentscheid“, hat in mühevoller Kleinarbeit die Protokolle des Parlamentarischen Rates von 1948/49 durchforscht. Sie hat jetzt eine Dokumentation vorgelegt, mit welchen Argumenten die Gründungsväter und Mütter der Bundesrepublik damals die Verfassungsfrage diskutierten. Jeden Samstag stehen Mitglieder der Initiative auf dem Findorff-Markt, um über Volksgesetzgebung und ihre Recherchen zu informieren.

taz:Was ist die „Demokratie-Initiative 90“ und was will diese Initiative?

Manfred Steinbach, Demokratie-Initiative 90:Die Demokratie -Initiative 90 ist eine Bürgerrechtsbewegung, mit Sektionen in anderen Europäischen Ländern. Sie hat die Verwirklichung direktdemokratischer Gesetzesinitiativen zum Ziel, in Rechtsgestalt der dreistufigen Volksgesetzgebung - also Gesetzesinitiativen ausgehend von einzelnen Menschen bzw. von Bürgerinitiativen: mit einer rechtlichen Bindung im Gegensatz zu den jetzigen Bürgerbewegungen, die gegen einzelne Maßnahmen zwar protestieren können, die in der Umsetzung ihrer Ziele dann aber vom Wohlwollen der Politiker abhängig sind.

Sie wollen also den Volksentscheid?

Die Menschen sollen in ihrem Wollen, mit ihren Vorstellungen zum Zusammenleben, mit ihren Fähigkeiten eingebunden werden in das Gesetzgebungsverfahren: Sie sollen Gesetze ausarbeiten und einbringen können wie die Fraktionen in den Parlamenten auch.

Welche Petitionen hat die Demokratie-Initiative denn zur Zeit in Vorbereitung?

Dann muß man fragen: 'Welche hat sie gemacht?‘ - Zwei Petitionen sind an den Deutschen Bundestag gerichtet, mit der Forderung, das Abstimmungsrecht des Volkes gesetzlich auszugestalten. Dabei haben wir die dreistufige Volksgesetzgebung als Vorschlag eingebracht. Das war in den Jahren 1984-88. Jetzt haben wir die dritte Petition an den Bundestag gerichtet, die aber auch gleichzeitig der Volkskammer in der DDR vorgelegt wird. Dabei fordern wir erneut, die dreistufige Volksgesetzgebung in eine künftige gesamtdeutsche Verfassung aufzunehmen, und wir fordern zweitens, bei der Erarbeitung einer gesamtdeutschen Verfassung diese dann abstimmen zu lassen. Alle Menschen, die sich dafür interessieren, sollen in den verfassungsgebenden Prozeß einbezogen werden. Wir halten Nationalversammlungen, wie sie in der bisherigen Rechtsgeschichte in anderen Ländern Verfassungen erarbeitet und per Volksentscheid dann beschlossen haben, nicht mehr für zeitgemäß.

Was heißt das denn nun bezogen auf die Vereinigung der beiden Deutschlands?

Wenn es über Art. 23 GG allein eine Vereinigung geben würde, das würde dem, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes seinerzeit im Parlamentarischen Rat beschlossen haben zuwiderlaufen. Eine Übernahme des Grundgesetzes als neuer gesamtdeutscher Verfassung ist verfassungswidrig. Wir treten ganz konkret für die Erarbeitung einer neuen gesamtdeutschen Verfassung gemäß Präambel und Art. 146 GG ein.

: Haben Sie bei Ihren Recherchen in den Protokollen von 1948/49 dazu Vorgaben entdeckt?

Die Menschen sind damals davon ausgegangen, daß sie lediglich ein Provisorium geschaffen haben. Eine endgültige Verfassung sollte erst dann erarbeitet werden, wenn eine (sich jetzt abzeichnende) Vereinigung der beiden Staaten bevorstünde. Diese endgültige Verfassung sollte nicht nur von einer verfassungsgebenden Versammlung (Das war nämlich die 1. Formulierung in Art. 146 GG, die heute nicht mehr auftaucht) beschlossen werden, sondern das gesamte deutsche Volk sollte diese Verfassung erarbeiten und dann auch abstimmen. Das geht eindeutig aus den Äußerungen der Parlamentarier hervor. Und das haben wir Politikern und Fraktionen auch zur Stellungnahme vorgelegt. Reaktionen gab es noch keine. Die müssen erst nachdenken.

Welche Aktionen haben Sie vor, um BremerInnen zu informieren?

Wir haben einige Fahrzeuge in dieser Richtung gestartet: Seit einiger Zeit veranstalten wir BürgerInnenversammlungen in den Bürgerhäusern, und wir stehen jeden Samstag mit einem Infostand auf dem Findorff-Markt. Außerdem liegen unsere Infos u.a. in Bibliotheken und Uni aus, und es sind rund 3 Millionen Stimmbriefe unserer selbstorganisierten Urabstimmung in Umlauf. In der DDR haben bis jetzt allein 30.000 Menschen unterschrieben. In Bremen wollen wir u.U. ein Institut gründen, das sich mit Verfassungsfragen und entsprechender Aufklärungsarbeit beschäftigt. Im Herbst planen wir eine Großveranstaltung.

(Interview: Birgitt Rambalski)

Kontaktadresse: Demokratie-Initiative 90, Manfred Steinbach, Kurfürstenallee 10-12, Tel. 0421/344990