Operation gelungen, Haus verseucht

Wie ein Kammerjäger in Koblenz ein Dreifamilienhaus von Ameisen und Mietern befreite, und wie Behörden es verstanden, „schnell und unbürokratisch“ zu helfen / „Mindergiftiges“ Pestizid sorgte dafür, daß möglicherweise das ganze Haus abgerissen werden muß  ■  Aus Koblenz: J. Weidemann

Fernfahrer Anton Castell mag keine Ameisen. Schon gar keine, die fliegen. Ein Alptraum ist's, was er, seine Frau und seine beiden Kinder als Mieter im Wallersheimer Weg 172 in Koblenz durchgemacht haben: Ameisen überall, in der Küche wie im Kinderzimmer. „Das war schon wie im Gruselfilm“, schimpft Castell. Doch es sollte bald noch schlimmer kommen.

Castell nämlich verständigte die städtischen Wohnungsverwalter der Koblenzer „Moselland-Gesellschaft“. Diese schickten auch prompt einen oft erprobten Schädlingsbekämpfer vorbei: Kammerjäger H. kam, sah und siegte über das fliegende Insektenvieh. Nicht einmal heute ein Jahr danach - wagt sich noch eine Ameise in das Dreifamilienhaus. Allerdings: Auch die Bewohner mußten fluchtartig ihre Bleibe verlassen. Operation gelungen, Haus verseucht!

An der Haustür haftet noch immer das Behördensiegel. Drinnen stehen Möbel, hängen noch Klamotten. Die Rolläden sind unten. Beim letzten Frost sind Wasserleitungen geplatzt, weil niemand im verseuchten, leerstehenden Haus das Wasser abgedreht hatte. Die früher hier lebenden Familien kamen nur notdürftig woanders unter. Einige mußten sich verschulden, um neues Mobiliar anzuschaffen. Sie hoffen und pochen auf Schadenersatz und klagen deshalb gegen den Kammerjäger. Überdies ermittelt die Staatsanwaltschaft auch in Sachen Körperverletzung gegen H.

„Mindergiftiges“ Insektizid

Fernfahrer Castell erinnert sich: „Die Kammerjägerfirma der Chef persönlich - kam zu uns und sagte: Da müssen wir etwas spritzen.“ Gesagt, getan. Chlorpyrifos hieß H.'s Zauberwaffe, ein als „mindergiftig“ eingeordnetes Insektizid. Die Castells, ihre italienischen Mitmieter und ein Junggeselle mußten für acht Stunden das Haus verlassen. „Danach sollten wir wiederkommen, die Fenster öffnen und nochmals vier bis sechs Stunden warten“, so Castell. Nach Ablauf der Sperrfrist machten sich die Castells ans Putzen: Ein Ölfilm bedeckte die Möbel. Der Schock überfiel den Fernfahrer erst am nächsten Morgen: „An unserem Videorekorder blätterte die Farbe ab. Und die Möbelbezüge begannen sich aufzulösen.“

Dennoch blieben die Castells noch drei Wochen im Wallersheimer Weg wohnen. Bald aber klagte ihr 15jähriger Sohn über Atemnot: „Die Bronchien waren zu.“ Die Koblenzer Hufeland-Klinik stellte in der Tat Atembeschwerden, untersuchte aber nicht, ob diese vom Insektizid oder von einer Erkältung herrührten. Auch einer der Gutachter, so berichtet Castell, habe nach der Raumluftuntersuchung mit Atemnot einen Arzt aufgesucht. Als das Resultat des Raumlufttests vorlag, war es soweit: Ohne Sack und Pack mußten die Mieter das Haus verlassen. Damit begann des Alptraums dritter Akt. „Unbürokratische Hilfe“ hatte die Stadt Koblenz zugesagt. Das fing damit an, daß die Castells erst einmal einen Antrag als Wohnungssuchende ausfüllen mußten. Im Laufe der „Vorzugsbehandlung“ durfte die Familie dann zweieinhalb Monate im Hotel zubringen, zum Teil auf eigene Kosten, wie Castell sagt. Die Stadt bot ihnen dann „vorzugsweise“ eine Wohnung im „Sozialen Brennpunkt“ an, wo es Castell indes „wegen der Assozialen“ ganz und gar nicht gefiel. Nächste Station der vierköpfigen Familie sollte eine Zweizimmerwohnung werden, „wo kurz zuvor ein altes Ehepaar gestorben war“. Dort aber wucherte „Schimmel im Kühlschrank“, und „jemand hatte auf die Couch gemacht“.

Selbst die Balken verseucht

Inzwischen haben sich die Castells selbst etwas Annehmbares gesucht. Von ihren alten Sachen konnte die Familie das allerwenigste mitnehmen. „Selbst in noch verpackter Bettwäsche wurde Gift festgestellt, sagt Castell und fürchtet: „Wenn das Haus saniert werden soll, muß nicht nur der Putz runter, sondern auch alle Holzbalken 'raus.“ Ein Kostenvoranschlag beläuft sich auf sage und schreibe 900.000 Mark

„Dann schon lieber neu bauen“, meint Moselland-Chef Josef Kühlem, der skeptisch ist, „ob das Haus überhaupt verseucht ist“. Es sei also „unverantwortlich“, schon jetzt über Sanierungskosten des Insektizideinsatzes zu spekulieren, den Moselland veranlaßt hatte.

Denn die bisherigen Gutachtermeinungen, so Kühlem, reichen von „Das Haus ist Sondermüll“, bis „Die Sache ist gar nicht so schlimm“. Für Aufregung sorgte vor allem das Gutachten des Fresenius-Instituts in Königstein, das auch außerhalb des Gebäudes mit Gift verseuchten Boden nachweist. Dagegen wirft ein Gegengutachten des sonst für die Bundeswehr tätigen Koblenzer Ernst-Rodenwaldt-Instituts den Fresenius -Gutachtern „unwissenschaftliche Methoden“ vor, wie der Anwalt von H. sagt. Ein abschließendes Gutachten über die Gefährlichkeit des Insektizids steht noch aus.

Die Koblenzer SPD will den Fall nun vor den Haushalts- und Finanzausschuß des Stadtrats bringen. Sie verlangt Einsicht in die Gutachten und die Anhörung der Betroffenen. Der SPD -Fraktionsvize im Stadtrat, Jürgen Zahren, findet, daß die Verwaltung die Angelegenheit schleifen läßt. Eine schnelle Erledigung wünscht sich mittlerweile auch Kammerjäger H., der zum Zeitpunkt des Gifteinsatzes nicht haftpflichtversichert war. Er sieht sich vorm Ruin: „Bei mir rufen mittlerweile keine Kunden mehr an.“