„Irgendwie sind wir alle bescheuert!“

■ NRW-Alternativfunker zwischen Hamsterrad und Resignation / Rundfunkgesetz läßt Bürgerradios am langen Arm verhungern

Vollkommene Desorientierung herrscht bei den sogenannten 15 -Prozent-Gruppen in Nordrhein-Westfalen, den Radio -Aktivisten, die nach dem örtlichen Landesrundfunkgesetz als freie Bürgergruppen der kommerziellen Lokaradios bis zu 15 Prozent der täglichen Sendezeit dazwischenfunken dürfen („Offene Kanäle im Hörfunk“).

Radio machen - aber wie? Das ist denn auch die Frage, die heftigst in der „Arbeitsgemeinschaft der Ruhrgebiets -Radioinitiativen“ (AGRRI), dem Zusammenschluß der 15 -Prozent-Vereine aus dem Ruhrgebiet, diskutiert wird. In Duisburg werden schon die ersten Erfahrungen mit einem kommerziellen Lokalsender (Radio Duisburg) gemacht. Hier geraten die Initiativen langsam, aber sicher unter den Produktionsdruck, täglich zwei Stunden Sendezeit zu füllen.

Anderswo ergehen sich die Radio-Aktivisten in Gremienarbeit: In sich häufenden Sitzungen der Veranstaltergemeinschaft (der eigentlichen Lizenznehmerin für das kommerzielle Radioprogramm) versuchen sie, die Bedingungen für den offenen Hörfunkkanal wenigstens erträglich zu gestalten, günstige Sendezeiten herauszuschinden und den Geldgebern möglichst niedrige Gebührensätze für die Studionutzung abzuhandeln, anstatt mit eigener Technik autark zu produzieren.

Die dritten wiederum sitzen tagelang vor dem Taschenrechner und brüten großartige Papiere aus, wie billig sie Rundfunk machen könnten (mit 200.000 DM bist du dabei) und woher sie diese Gelder (trotz Werbeverbot) bekommen könnten: natürlich von der 'WAZ‘, dem westfälischen Zeitungsgiganten, denn schließlich leiste man ja hervorragenden lokalen Journalismus, der auch honoriert werden müsse. Anschließend bitten sie um Termine beim großen 'WAZ'-Lokalfunk-Zampano Schillinger, der die Gebauchpinselten sogar jovial empfängt. Bereitwillig präsentieren sie ihm ihre Papierchen mit den Kostenrechnungen. Hocherfreut über derart billige Dienstleistungen reicht Schillinger die Konzepte zwecks konzerninterner Weiterverwendung zum Kopieren an seine Sekreträrin weiter.

Die Alternativfunker mit den schlauen Plänen kalkulieren jedoch nicht im mindesten mit ein, daß die Profi-Radios aus Mangel an freien Mitarbeitern die Aktivisten aus den Vereinen für 75 DM pro Beitrag weglocken werden. Da wäre ja auch jedeR schön dumm, auf Dauer seine Arbeitskraft kostenlos einem altruistischen Medienverein zu widmen, während irgendwelches unausgebildetes Junggemüse Honorare für läppische Radioinhalte a la „bundesdeutscher Markt für Sonnenbrillen“ (Lokalfunk-Thema bei Radio Duisburg) einstreicht.

Zu allem Überfluß präsentiert die Landesanstalt für Rundfunk (LfR) nun Modelle, wie denn die bisherigen Fördermittel auf die Bürgerradiomacher in den 45 verschiedenen Lokalfunkverbreitungsgebieten verteilt werden sollen. Vor Ort, so die LfR, sollen sich „Radiowerkstätten“ aus allen interessierten Gruppen bilden.

Die Vorteile nach Ansicht von Helmut Hartwig, SPD-MdL und Vorsitzender der Rundfunkkommission der LfR: die Profi -funker werden von der Arbeit mit den 15-Prozent-Gruppen entlastet. Sie erhalten fertige Sendebänder, die inhaltliche Diskussion über die Sendbarkeit wird auf die Arbeitsgemeinschaft verlagert. Die wiederum soll schließlich einen „Dienstleistungsvertrag“ mit den Profis abschließen, nach dem sie ihnen gesetzliche Pflichtaufgaben (zum Beispiel Organisation von Produktionshilfe) abnimmt.

Die Idee der „Radiowerkstätten“ beschert den Radioaktivisten in Nordrhein-Westfalen ein neues Hamsterrad. In vorauseilendem Gehorsam sind jetzt viele 15-Prozentler damit beschäftigt, Satzungen für örtliche „Arbeitsgemeinschaften Bürgerfunk“ zu entwerfen, um ja weiter in den Genuß von weiteren Geldern aus der Landesanstalt für Rundfunk zu erhalten. Bloß: ausreichende Sockelbeträge für Personal, das den zusätzlichen Arbeitsaufwand bewältigen soll, garantiert die LfR nicht. Statt dessen gibt es gerade einmal bis zu fünf D-Mark pro gesendete Bürgerfunk-Minute.

Das führt zu einer gewissen Krämerseelenmentalität: Jürgen Mickley vom Duisburger Radio Kakadu beklagt sich über die Dummheit seiner Initiative, die ein circa 12minütiges Band eingereicht hatte. „Die Profi-Redakteurin hat ein zum Thema passendes Musikstück drangehängt - in Programmverantwortung von Radio Duisburg. Auf die Idee hätten wir auch kommen können. Dann hätten wir jetzt bie drei Minuten Musik Anspruch auf 15 DM mehr von der LfR.“

Andere Radioinitiativen wiederum basteln weiter an ABM -Verträgen, um das Überleben des Vereins für wenigstens die nächsten zwei Jahre zu sichern. Auf die Idee, die politischen Forderungen nach personeller Absicherung des Bürgerfunks an die SPD zu richten, kommt niemand mehr. „Irgendwie sind wir alle bescheuert!“, meinte ein Teilnehmer auf dem letzten Treffen der informellen AGRRI zum konzeptionellen Gewurschtel der Radioinitiativen. Die SPD -Landesregierung dokumentiert ihre Mißachtung der ohnehin inzwischen lästigen 15-Prozent-Funker deutlich genug. Geld ist genug da, um dem Bürgerfunk die dringend benötigten Planstellen für medienpädagogisches Personal zu finanzieren. Allein es fehlt der Wille.

„Wir haben gar nicht so viel Gebührenmittel gewollt“, erklärte der Medienreferent in der NRW-Staatskanzlei, Klaus -Dieter Bopp im vergangenen Dezember auf einer Diskussionsveranstaltung der AGRRI zu den Gebührenüberschüssen der LfR aus der zweiprozentigen Privatfunkabgabe an den Rundfunkgebühren. Doch Mittel in zweistelliger Millionenhöhe werden auf Weisung von Ministerpräsident Rau in eine Landesstiftung zur Förderung der mittelständischen Filmwirtschaft umgeleitet. Gestzliche Pflichtaufgaben der LfR, wie etwa medienwissenschaftliche Begleitforschung und die Unterstützung der Bürgerradioquoten vor Ort können nur noch auf Sparflamme gekocht werden. Volker Lilienthal spricht in diesem Zusammenhang von einer „politische erwünschten Erosion“ ('epd‘).

Wie die NRW-Landesregierung diese Erosion der längst lästig gewordenen 15-Prozent-Regelung im Landesrundfunkgesetz weitertreiben möchte, deutete Johannes Rau auf den Stendener Medientagen Ende März an: „Der Offene Kanal im Lokalradio wird nur in dem Maß vor Ort etabliert und verankert werden können, wie es gelingt, die Abhängigkeit von den LfR -Subventionen durch eigenes Engagement der beteiligten Gruppen und Institutionen zu verringern.“

-boff