„Wir verkaufen uns ein bißchen zu billig“

Schleuderpreise bei Textilien und Schuhen / Händler nutzen die staatlichen Subventionen zum Ausverkauf / Begehrte DDR-Produkte werden nicht mehr nachgeliefert / Handelsministerium überprüft Groß- und Einzelhändler, die in Erwartung der West-Waren ihre Lager räumen  ■  Aus Berlin Claudia Haas

Zu den begehrtesten Produkten in den Warenhäusern der DDR zählen in diesen Tagen Waschpulverpakete der Marke „Spee“ und Joghurt aus der Milch volkseigener Kühe.

Die Waschmittelfabriken produzieren nach wie vor, die Kühe geben weiterhin Milch, doch die Regale in den Kaufhallen, in denen die gefragte DDR-Ware liegen sollte, sind leer. Wenn im „Centrum„-Warenhaus an der Leipziger Straße morgens die Joghurt-Paletten aus den Milchhöfen ankommen, können die VerkäuferInnen nicht schnell genug auspacken, am Mittag bleibt den KundInnen nur die Auswahl aus 20 West-Joghurt -Sorten für 2 Mark.

Um den Warenfluß von der Produktion zum Einzelhandel wieder zu sichern, sind in dieser Woche in allen Bezirken Berlins Mitarbeiter des Handelsministeriums unterwegs. Sie begutachten das Angebot in den Verkaufsstellen und prüfen, ob die Verkaufsleitung richtig bestellt hat. Ist dem Einzelhändler nichts vorzuwerfen, wird nachgeforscht, warum der Großhandel nicht liefert. Für Jochen Bloß, der im Ministerium für Handel und Tourismus die Aktion organisiert, liegt hier der Schwachpunkt: Viele Großhändler haben in Erwartung der West-Ware die Lager bereits geräumt. So hatte beim Beispiel Waschmittel der Berliner Großhandel Anfang des Jahres alle Verträge für das zweite Quartal storniert, die Fabriken mußten das Waschmittel exportieren. Um eine schnelle Versorgung der KundInnen zu sichern, will das Ministerium eine direkte Verbindung zwischen Einzelhandel und Produktion schaffen. Noch ist die Nachfrage nach den DDR -Produkten da.

Fred Neitzert, der eine kleine Drogerie in der Dimitroffstraße betreibt, konnte vier Wochen lang kein DDR -Waschpulver anbieten. Die wenigen Pakete, die jetzt geliefert werden, sind sofort wieder ausverkauft. Die bunten „Ariel„- und „Omo„-Pakete, mit 20 Mark viermal so teuer wie „Spee“, verstauben in den Regalen. Auch bei Kosmetikartikeln sind die DDR-Produkte heißbegehrt. Die KundInnen, unbeeindruckt von zehn importierten Zahnpasta- und 15 Seifensorten, fragen nach der einheimischen Ware. Doch viele begehrte DDR-Kosmetikartikel sind nicht zu haben, die Auswahl beim Großhandel ist dürftig. Der Drogerist kauft nur noch solche Produkte ein, die er bis zum 2. Juli verkaufen kann.

Im Herrenschuhgeschäft einige Häuser weiter stehen noch drei einsame Schuhkartons mit Sandalen in Größe 47 im Regal, das Paar für 15 Mark. Stiefel, Sandalen, Hausschuhe - bis zu zehn Paar hätten die KundInnen gekauft, als die Preise um 60 Prozent gesenkt wurden. Letzten Samstag mußte der Laden geschlossen bleiben. Der Großhandel, bei dem die Schuhe zum ermäßigten Preis gekauft werden können, kommt mit der Lieferung nicht nach. Verkäuferin Evelyn Polster glaubt nicht, daß nach der Währungsunion die DDR-Schuhe verschmäht werden. Die Hausschuhe aus der eigenen Produktion würden schließlich auch im „Otto„-Katalog angeboten. Verkaufsstellenleiterin Gisela Waesche vom Damenschuhladen gegenüber wird noch genau vier Wochen lang die einheimische Ware anbieten. Dann müssen die Regale leer sein für das westdeutsche Schuhhaus „Leiser“, das seine eigene Winterkollektion mitbringen wird. Auch im Kindertextilgeschäft in der Dimitroffstraße haben die Verkäuferinnen die Order bekommen, bis Ende Juni Platz für die West-Ware zu schaffen. Die Kinderwäsche, um die Hälfte heruntergesetzt, findet reißenden Absatz, doch nachgekauft wird nichts mehr.

Die Subventionen in Milliardenhöhe, mit denen der Staat den Absatz einheimischer Produkte fördern will, um die Arbeitsplätze zu erhalten, werden von vielen Händlern zum Totalausverkauf benutzt. Die KundInnen nutzen den Preissturz, um sich für die nächsten Jahre mit Unterwäsche oder Schuhen einzudecken. Doch viele sind aufgebracht über die Preispolitik der Regierung. Christl Wollin, die vor dem Konsum-Modehaus „Chic“ in der Schönhauser Alle in den Anblick eines Sommerkleides für 25 Mark versunken ist, freut sich nicht über die Schleuderpreise: „Wir verkaufen uns zu billig. Mit jedem Sonderangebot bescheinigen wir uns doch unsere eigene Wertlosigkeit.“