Flucht in den Sex

■ Oder: Der Kommunismus ist weg, die Kirche ist geblieben. Der Krakauer Cartoonist Andrzej Mleczko über das neue Polen

Henryk M. Broder

In der Straße des Heiligen Jan in Krakau, die am „Rynek“, dem großen Marktplatz, anfängt und zur alten Stadtmauer führt, gibt es drei Adressen, die man sich merken sollte. Da ist die Cafebar „Sniezka“, ein Treffpunkt der Taubstummen, das einzige Kaffeehaus der Stadt, in dem man seine Zeitung in Ruhe lesen kann. Schräg gegenüber dann die Cafebar „Rio“, ein Treffpunkt der Künstler und Intellektuellen, unschwer an schwarzer Kleidung, Ohrringen und getönten Haaren zu erkennen. Und ein Stück weiter eine Galerie, in der keine Gemälde, keine Originale, sondern nur Drucke, Poster und Postkarten angeboten werden: Die „Autorengalerie“ von Andrzej Mleczko, ein kleiner Laden, schwarz gestrichen, an den Wänden hängen Carrtoons, von der Decke baumeln an langen Fäden Comicheftchen mit den gesammelten Arbeiten des Hausherren: „Polnisch-polnische Unterhaltungen“, „Porno für Bedürftige“, „Kamasutra“, Teil 1, 2 und 3.

Mleczko hat seine Galerie im Jahre 1985 eröffnet, nach der Aufhebung des Kriegszustands in Polen. Er hatte irgendwo gelesen, daß Robert Crumb, der amerikanische Zeichner, seine Sachen selbst druckt und vertreibt, und wollte es ihm nachmachen. Er fand ein verlassenes Ladenlokal, richtete es als Galerie her und fing mit ein paar Postkarten seiner Zeichnungen an. „Das ging weg wie Wodka.“

So wurde er Unternehmer. Vor der Verhängung des Kriegszustands veröffentlichte Mleczko in polnischen Zeitungen und Magazinen, unter anderem in 'Polityka‘, 'Przekroj‘ (Querschnitt), aber auch in dem inzwischen untergegangenen deutschen Satireblatt 'Pardon‘. Er hat, sagt er, nie Schwierigkeiten mit der Zensur gehabt. „Entgegen den üblichen Vorstellungen war es für die Künstler im Kommunismus sehr bequem. Es ging den Kommunisten nicht darum, daß Künstler nicht veröffentlichen oder nicht auftreten dürfen, es ging darum, daß sie das machen, was die Partei von ihnen erwartet. Und da genügte ein Wort, eine Geste, eine Andeutung von Widerspruch, und schon hatte man Mut gezeigt, dem Regime die Stirn geboten, war ein Held...“

Hinzu kam die wirtschaftliche Sicherheit, die das System den Kunstschaffenden bot. „Im Westen macht man sich von diesem Paradox keine Vorstellung. Dort muß ein schlechter Künstler seinen Beruf wechseln. In Polen mußte man nur ein Kunststudium beenden, dann bekam man ein Zeugnis und konnte davon leben. Der staatlich anerkannte Künstler bekam ein Atelier, für das er nur eine symbolische Miete zu zahlen hatte, er kam in einem der vielen „Kulturhäuser“ unter, wurde ausgestellt, hatte ein garantiertes Einkommen, um das er nicht kämpfen mußte.“

Damit ist es nun aus, es gibt 2.000 bildende Künstler allein in Krakau, „die sich jetzt darüber beschweren, daß ihnen Unrecht geschieht“, weil der Minister für Kultur ihnen gesagt hat, „meine Lieben, ihr müßt jetzt von dem leben, was ihr verdient, der Staat kann euch nicht länger helfen“. Dasselbe gilt auch für Schriftsteller und Filmemacher, die vom Staat ausgehalten wurden, egal wie gut oder erfolgreich ihre Werke waren. Mleczko hat für die Proteste seiner Kollegen kein Verständnis. „Von diesen 2.000 werden höchstens 200 übrig bleiben. Der Rest wird sich nützliche Arbeit suchen müssen, im Straßenbau, in der Landwirtschaft, in Betrieben.“ Im übrigen seien zwei, drei begabte Leute wichtiger als 1.000 mittelmäßige Talente, die vom Staat gefüttert würden.

Während sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert habe, sei die politische, keine Frage, besser geworden. Die früher allmächtige Partei sei entmachtet, aber - derzeit gibt es in Polen zu jeder Feststellung ein Aber - auch das habe seine Nachteile. „Früher war die politische Macht, vom Pförtner im Rathaus bis zum Staatspräsidenten, schlecht. Alles, was kommunistisch war, war von übel. Darüber hat man nicht gesprochen, es war vollkommen klar. Und worüber ich mich auch lustig machte, wen immer ich angriff, ich lag automatisch immer richtig. Ich konnte mich gar nicht irren. Jetzt muß man sich völlig neu orientieren. Plötzlich sehen wir, die Welt ist etwas komplizierter, als es uns 40 Jahre lang gesagt wurde.“

Was macht ein Künstler in einer solchen Lage? „Keine politischen Zeichnungen, ich will mich nicht blamieren, ich warte erstmal ab.“ Mleczko hat „die Flucht in den Sex“ angetreten, er zeichnet kleine Schweinereien, wie den Liebhaber der Dritten Welt, der sich a trego an einer Afrikanerin zu schaffen macht und dabei „Lang lebe die Völkerfreundschaft“ ruft. In den 60er Jahren wäre das in der Bundesrepublik Deutschland kein Skandal mehr gewesen, im katholischen Polen ist es noch heute sehr gewagt. Ein gänzlich unumstrittenes Tabu freilich ist die Stellung der Kirche, ein Thema, von dem Mleczko die Finger läßt. „Um meinen Frieden zu haben, um in Ruhe arbeiten zu können.“ Er habe nie Angst vor den Kommunisten gehabt, aber er halte es für klüger, sich mit der Kirche nicht anzulegen. „Das wäre ein Schritt zu weit. Die Kirche war immer ein Gegengewicht zum Kommunismus. Jetzt sind wir den Kommunismus los, aber die Kirche will die politische Bühne nicht räumen. Und das macht mich nervös.“

Mleczkos Galerie war eine Zeitlang ein Treffpunkt der politischen Opposition in Krakau. „Meine Freunde waren früher in der Illegalität, jetzt sitzen sie als Abgeordnete im Sejm.“ Alles sei schnell gegangen, vielleicht zu schnell, man habe keine Zeit gehabt, die Spielregeln zu lernen. „Viele Künstler haben sich für die Solidarnosc stark gemacht, ich auch, aber jetzt wäre es das beste, wenn die Solidarnosc sich auflösen würde. Wir brauchen keine „politische Bewegung“ mehr, wir brauchen normale politische Parteien. Die Solidarnosc wird zu einem Moloch, der die Entwicklung zu einem parlamentarischen System behindert.“

Und Walesa? „Er hat das Seine getan, er sollte abtreten. Er hat Charisma, aber er ist ein sehr einfacher Mensch, der darauf stolz ist, daß er keine Bücher liest, jetzt will er sogar Präsident werden.“

Man könne sich, sagt Andrzej Mleczko, im Westen überhaupt nicht vorstellen, was für tiefe Spuren der Kommunismus in Polen hinterlassen habe. „Das ist keine Frage der Politik, sondern der Psycho-Pathologie. Ein normaler Mensch kann kein Kommunist sein, aber das waren alles gute Menschen, nur etwas stimmte mit ihnen nicht, ich weiß auch nicht was, vielleicht hätten die eine paar Analytiker fragen sollen.“ Nun ist das System weg, aber die Mentalität ist geblieben. „Diese Apathie, jeder meint, er hat ein Recht auf Bezahlung, egal was er macht, jeder verlangt Garantien und Sicherheiten. Aber niemand will um seine Rechte kämpfen. Ich dachte, wenn bei uns endlich die Demokratie ausbricht, werden die Menschen aufatmen und Initiativen ergreifen. Nichts dergleichen, sie warten, daß was für sie unternommen wird.“ Am schlimmsten sei der Verlust der Arbeitsmoral. „Wer bei uns arbeitet, macht sich lächerlich, über den machen sich die anderen lustig.“ Mit dieser Haltung hat auch Mleczko seine Erfahrungen gemacht. „Wenn ich eine Arbeit pünktlich, zum vereinbarten Termin, abgebe, sagen sie, ich spinne. Also laß ich die fertige Arbeit liegen, gebe sie zwei Wochen später als verabredet ab und mein Ansehen ist gerettet.“

Andrzej Mleczko wurde 1949 geboren. Er ist so alt wie die „Volksrepublik Polen“, die seit kurzem nur noch „Republik Polen“ heißt. Seine Bilanz nach 40 Jahren staatlich verordnetem Kommunismus: „Du kannst niemand zu Arbeit überreden. Du mußt ihn dazu zwingen.“