Regierung startet PDS-Enteignung +SW32.1

■ Volkskammer: Regierungskommission übernimmt Treuhandschaft über Vermögen aller Parteien und ehemaliger Massenorganisationen Enteignung der vor dem 7. Oktober erworbenen Vermögenswerte vorbereitet / Gysi: Einmalige Chance, die Opposition zu entmündigen

Berlin (taz) - Die Unterstellung der Finanzen aller Parteien und ehemaligen Massenorganisationen unter die Treuhandschaft einer Regierungskommission hat die Volkskammer gestern mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS beschlossen. Das bedeutet, daß die Parteien und die Gewerkschaften ohne Zustimmung der Regierungstreuhänder auf unbefristete Zeit über keine Mark mehr selbständig verfügen können und daß die Enteignung der vor dem 7.0ktober 1989 erworbenen Vermögenswerte „zugunsten gemeinnütziger Zwecke“ vorbereitet wird. Die Verabschiedung dieses Beschlusses war handstreichartig eingeleitet worden. Selbst das Präsidium der Volkskammer erfuhr erst eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn von der Änderung der Tagesordnung. Entgegen der Geschäftsordnung des Parlaments waren die Anträge nicht am Vorabend eingereicht worden. Der Abgeordnete J. Schmiele von der DSU, der den Antrag auf Änderung der Tagesordnung einbrachte, begründete dieses Verfahren damit, daß die Initiatoren befürchtet hätten, bei „vorzeitigem Bekanntwerden“ könne es zu „Manipulationen“ kommen.

Dem Antrag zufolge, der der Presse im übrigen nicht ausgehändigt wurde, beauftragt die Volkskammer „den Ministerpräsidenten, unverzüglich eine Regierungskommission zu bilden, um erstens bis zum 30.Juni 1990 die Vermögenswerte aller Parteien und Massenorganisationen der DDR im In- und Ausland festzustellen und das Ergebnis zu veröffentlichen. Zweitens mit sofortiger Wirkung in treuhänderische Verwaltung der Regierung zu überführen: das Vermögen, insbesondere Guthaben, Grundstücke, Immobilien, Betriebe, Unternehmensbeteiligungen, Erträge aus Verkäufen und sonstigen Verwertungen und zugunsten Dritter getroffener Verfügungen der Parteien und der mit der SED verbundenen Massenorganisationen, das am 7.0ktober 1989 bestand oder seither an die Stelle dieses Vermögens getreten ist. Drittens ein gesetzliches Verfahren vorzubereiten, mit dem die in Ziffer 2 genannten Vermögenswerte zugunsten gemeinnütziger Zwecke eingezogen werden können.“

In einem weiteren Antrag auf Änderung des Parteiengesetzes wird der Regierungskommission „das Recht zur Beweisaufnahme (eingeräumt), insbesondere Zeugen zu vernehmen, Hausdurchsuchungen und sonstige Durchsuchungen, Beschlagnahmungen (...) vornehmen zu lassen.“

Der DSU-Fraktionsvorsitzende Walther präsentierte diese Beschlußvorlage als „Erfüllung einer der Hauptforderungen der Revolution des vergangenen Herbstes“. Zwar ist in dem Text von allen Parteien die Rede, doch die Redner der konservativen Fraktion und der SPD machten sehr schnell deutlich, daß die Aktion gegen die PDS zielt. Walther sprach davon, es sei das Ziel, „soziale Nischen für Parasiten oder Funktionäre“ zu beseitigen. Richard Schröder von der SPD erklärte: „Die SPD hat an diesem Antrag mitgearbeitet“. Sie habe „den Verdacht, daß im Umfeld der ehemaligen SED viele krumme Dinger laufen“. Doch er habe den Antrag „nicht so verstanden, daß es um die Kriminalisierung einer Partei dieses Hauses geht“, und auch die „Arbeitsfähigkeit der Einzelgewerkschaften“ wollte die SPD nicht gefährden. Dafür wolle er sich „einsetzen“.

Matthias Platzeck vom Bündnis 90/Grüne begrüßte den Antrag grundsätzlich, forderte als Veränderung aber, daß die Regierungskommission mehrheitlich mit Vertretern von Parteien besetzt werde, die nach dem Oktober gegründet worden waren, das heißt SPD, DSU und Bündnis 90. Bündnis 90 sei „für die Enteignung unrechtmäßig erworbenen Eigentums nicht nur der SED sondern auch der ihr vierzig Jahre treu folgenden Blockparteien“. Am Rande der Tagung kommentierte der Abgeordnete Konrad Weiß den Beschluß mit dem Wort: „Endlich!“, da sei „das Verfahren nicht so wichtig“.

PDS-Abgeordnete wie der Stellvertretende Parteivorsitzende Pohl gingen völlig ahnungslos in die Sitzung. Gregor Gysi wies in seiner Kritik an dem Beschlußantrag darauf hin, daß sich in dem ganzen Antrag das Wort „unrechtmäßig“ in Bezug auf das Vermögen kein einziges Mal findet. Zur Aufdeckung und Rückgabe unrechtmäßigen Vermögens gebe es bereits entsprechende gesetzliche Regelungen und dazu sei die PDS auch jederzeit bereit. Aber hier gehe es offensichtlich um das Gesamtvermögen. Es entsteht damit die „einmalige Situation, daß die Regierung das Eigentum der Opposition verwaltet“. Der Partei werde „jede Entscheidungsmöglichkeit in finanziellen Fragen“ genommen, sie werde „entmündigt“. Es sei ein Versuch, „die PDS zu liquidieren“. „Wir werden das so nicht hinnehmen.“

Weiteres Thema des ersten Tages der Volkskammersitzung, war die aktuelle Versorgungslage. Die Ministerin für Handel und Tourismus, Sybille Reider, erklärte die chaotische Situation mit einer merkwürdigen Psychologie der DDR-Bürger, die zum „spontanen Abkauf“ neigen und „totalen Fehlentscheidungen von einzelnen Leitern“.

ws