Die schwarz-rote Fahne weht über Santa Fu

Die Revolte im Hamburger Knast ging gestern in den vierten Tag / Polizei verweigert Vertrauten der Gefangenen den Zutritt / Bereiten die Behörden einen Sturm der Haftanstalt vor? / Die „Meuterei“ bröckelt langsam ab  ■  Aus Hamburg Kai von Appen

Die Justizvollzugsanstalt Santa Fu ist zum beliebten Hamburger Ausflugsziel geworden. Täglich pilgern Hunderte in den Stadtteil Fuhlsbüttel, vor den Mauern stehen die Schaulustigen und lauschen den Appellen der 20 revoltierenden Gefangenen auf dem Dach der Anstaltskirche. Die Inhaftierten, die den Hof besetzt haben, sind von außen nicht zu sehen, aber zu hören.

Auch am gestrigen vierten Tag der Hamburger Häftlingsrevolte im Knast Santa Fu ist die Lage verworren. Während ein Teil der 200 Rebellierer am Mittag nach zunächst unbestätigten Meldungen ihre Zellen wieder aufgesucht haben sollen, da Jusitzsenator Wolfgang Curilla ein Einlenken signalisierte, hielten andere Gefangene in den Mittagsstunden den Hof der Anstalt und das Dach der Gefängniskirche weiter besetzt. Über eine in einer Werkstatt gebastelten Leiter waren die 20 Knackis am Mittwoch auf das 35 Meter hohe Dach, wo sich bereits seit Montag zwei Knackis verschanzt hatten, gelangt. Die von den Jusitzwärtern gerufene Polizei konnte nicht mehr eingreifen. In der Hand halten sie jetzt auch eine schwarz-rote Fahne. Dieses Anarchistenbanner hatten autonome Sympathisanten während einer Blitzaktion am Mittwoch abend zusammen mit Lebensmitteln und einem Megaphon über die vier Meter hohe Gefängnismauern geworfen und gewünscht: „Power durch die Mauer, bis sie bricht.“

Die Nacht haben Knackis erneut in Decken eingehüllt bei Temperaturen um sechs Grad im Freien verbracht. Aus Planen und Anstaltsmobiliar haben sie notdürftige Unterschläge oder Zelte gebaut. Die Stimmung in der Anstalt ist in diesen Stunden gereizt: Nachdem Justizsenator Curilla gedroht hat, die Revolte durch einen gewaltsamen Polizeieinsatz niederschlagen zu lassen, rechnen die Knackis jederzeit mit einem Angriff. Schon das Ausfahren der Ü-Wagen-Antenne eines Rundfunkteams löste gestern morgen Panik aus.

In der Tat sprechen viele Anzeichen dafür, daß sich das Mobile Einsatzkommando auf einen Sturm der Anstalt vorbereitet. Polizei und Jusitzbehörde scheuten bislang jedoch den Einsatz, weil sie die Reaktionen der Gefangenen auf eine Polizeiaktion fürchten. Angst, daß dabei Knackis vom Dach stürzen könnten, womit der Justizskandal vollends perfekt und Curillas Abgang vorprogrammiert wäre. Als „übliche Verleumdung“ bezeichneten die Knackis allerdings Berichte von 'Bild‘, wonach sie ein „Blutbad“ planten. Knacki-Sprecher Michael Jauernik: „Wir haben immer gesagt, daß von uns keine Gewalt geplant ist, Gewalt wird es nur aus Notwehr geben.“

Die Polizei, die mit einer Hundertschaft die Anstalt von außen abriegelt, bestreitet allerdings offiziell jegliche Vorbereitungen. „Es wird und darf hier keine gewaltsame Lösung geben“, erklärte ein Einsatzführer gegenüber der taz. Ihre Aufgabe sei es nur, einen Ausbruch der Gefangenen zu verhindern.

Doch darum geht es den Knackis nicht. „Wir haben seit einem Jahr die Mißstände angeprangert und nichts ist passiert. Wir fordern, daß die Verantwortlichen des Strafvollzugsamts von der Justizbehörde zur Veranwortung gezogen werden“, bekräftigte Jauernik auch den gestrigen Tag über in langen Megaphon-Monologen die Forderungen der Gefangenen. Die Meuterer können sich nur mit der Flüstertüte an die Öffentlichkeit wenden, nachdem die Justizbehörde die Telefonleitungen zum besetzten Anstaltstrakt „Dora1“ gekappt hat. Auch den GAL-JustizexpertInnen Dagmar Pelzer und Peter Mecklenburg verweigert Curilla den Zutritt zum Knast, erteilte ihnen Hausverbot.

In Santa Fu beharren die Gefangenen darauf, daß der Senator mit ihnen direkt verhandelt, bevor sie ihre Aktion abbrechen, was Curilla angeblich gestern mittag zugesagt haben soll, wohlwissend, daß die Zeit drängt. Die physische und psychische Anspannung ist groß: „Wir befinden uns jetzt den vierten Tag auf dem Dach, viele von uns haben die letzten vier Tage kaum geschlafen. Essen und Wasser werden knapp.“