piwik no script img

Gorbatschow wartet auf Bushs „flexible response“

Der Kremlchef kritisiert das sture Festhalten des Westens an deutscher Vollmitgliedschaft in der Nato / Tür zum Kompromiß dennoch offengelassen  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Michail Gorbatschow und George Bush standen stramm, als die trommelnden und dröhnenden US-Kadetten in dem militäristischen Empfangsritual auf dem Rasen des Weißen Hauses den Traumsong des sowjetischen Präsidenten spielten: die Hymne von der „unzerstörbaren Union der freien Sowjetrepubliken“. Anschließend huldigten die Präsidenten der beiden Supermächte in ihrer Begrüßungsansprache jedoch dem entspannten Geist der neuen Zeitenwende. Bush setzt große Hoffnungen in die „Zusammenarbeit über die Sicherheit in Europa“, Gorbatschow in den „Beginn einer unwiderruflichen Periode in der Welt“. Dennoch konnte sich George Bush nicht eine Bemerkung zu Litauen verkneifen, während Gorbatschow es vorzog, zur deutschen Frage zu schweigen, ehe sich die beiden zum Beginn ihrer insgesamt sechstündigen Beratungen ins Weiße Haus zurückzogen.

Gorbatschow war am Mittwoch abend nach seinem zweitägigen Staatsbesuch beim Nachbarn Kanada in Washington eingetroffen. In Ottawa hatte er zuvor auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kanadischen Premier Brian Mulroney noch einmal seine Position zur Frage der deutschen Mitgliedschaft in der Nato umrissen. Die wird wohl den umstrittensten Verhandlungspunkt des Gipfeltreffens mit George Bush in Washington darstellen wird. „Der Westen hat hier noch nicht genug nachgedacht“, kritisierte Gorbatschow. Die Position der Bush-Administration, die weiterhin auf der von Moskau abgelehnten Vollmitgliedschaft des vereinigten Deutschland in der Nato besteht, verglich er dabei mit „einer alten Platte, die immer wieder die gleiche Note spielt“. Der Westen habe versucht, der Sowjetunion seine Lösung aufzuzwingen, sagte Gorbatschow, „und das paßt uns gar nicht“. Der Kremlchef ließ allerdings die Möglichkeit für einen Kompromiß in der Frage der deutschen Nato -Mitgliedschaft offen.

Kurz vor seinem Abflug nach Washington hatte er in Ottawa noch scherzhaft erklärt, vielleicht werde er auf dem Flug ja noch einige neue Ideen entwickeln. Es gebe da verschiedene Möglichkeiten und Szenarien, „die jedoch nicht unbedingt mit den westlichen Vorschlägen übereinstimmen werden“. Damit hat der sowjetische Staats- und Parteichef erneut eine größere Flexibilität angedeutet als die Bush-Administration. Denn die US-Regierung überlegt sich, hohen Beamten zufolge, lediglich, mit welchem Zuckerguß man die Pille einer deutschen Vollmitgliedschaft in der Nato denn überziehen könnte, damit Gorbi sie endlich schlucke.

Statt konstruktive Vorschläge zur Neuordnung Europas zu entwickeln, sind die US-Medien und Gedankenfabriken zum Gipfeltreffen erneut mit Visionen und Spekulationen über die politischen Überlebenschancen Gorbatschows beschäftigt. Ihr Objekt hingegen wies sämtliche Theorien zurück, nach denen Schwierigkeiten daheim ihn bei seinem Amerikatrip von ernsthaften Verhandlungen über die geplante Abrüstungsverträge und der Diskussion anderer Punkte ablenken könnte. Und als wolle er im vermeintlichen Niedergang seine Fähigkeit zur in westlichen Kreisen raren Weitsicht noch unterstreichen, fügte er am Montag seinem Programm noch ein Treffen mit dem südkoreranischen Präsident Roh Tae Woo in San Francisco hinzu.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen