Sanft und einsichtig? URLAUB IN DER DDR

■ Günter Ermlich sprach mit Prof. Bruno Benthien, Staatssekretär für Tourismus in der DDR.

In der Übergangsregierung Modrow war Prof. Benthien von der LDP (Liberal Demokratische Partei) 100-Tage-Minister in dem erst am 1. 1. 1990 gegründeten Tourismusministerium. In der neuen Regierung ist der gelehrte Geograph als Staatssekretär unter der Ministerin für Handel und Tourismus Sybille Reider (SPD) zuständig für den Sachbereich Tourismus.

taz: In der BRD setzen einzelne Gemeinden, Regionen und wenn es hoch kommt - ein ganzes kleines Bundesland wie das Saarland auf den „Sanften Tourismus“. In der DDR scheint er zur allgemeinen Staatsdoktrin auf dem Gebiet des Tourismus zu werden. Was verstehen Sie unter dieser dieser Konzeption?

Prof. Bruno Benthien: Ich verstehe darunter in erster Linie „Tourismus mit Einsicht“. Einsicht in eine langfristig positive Entwicklung des Tourismus in einer Region setzt voraus, daß man die natürlichen Grundlagen, aber auch das vorhandene, historisch überlieferte Potential an Denkmalen, an Bauten nicht schädigt, sondern im Interesse der Gemeinden und Regionen nutzt.

Liegen schon konkrete Modelle für eine „sanfte“ Tourismusentwicklung in der DDR vor?

Es gibt ein Projekt zur Tourismusentwicklung in der Altmark. Dieses möchten Professor Nahrstedt von der Universität Bielefeld in Kooperation mit dem Arbeitsbereich von Frau Prof. Mohrmann von der Humboldt-Universität in Ostberlin, die Stadt Salzwedel und wir vom Ministerium gemeinsam fördern. Hier glauben wir, daß man Prinzipien des „Sanften Tourismus“ umsetzen kann, indem die Entwicklung umweltfreundlich, sozial ausgeglichen und zugleich auch kulturfreundlich gestaltet wird. Der Einsicht in den Gesamtkomplex muß man Priorität einräumen gegenüber reinen ökonomischen Überlegungen, wobei wir uns natürlich darüber im klaren sind, daß es in einer Anfangsphase einfach ist, „Sanften Tourismus“ zu propagieren. Mit der Zunahme der Zahl der Besucher in einem bestimmten Ort oder einer bestimmten Gegend setzt das aber schon mehr Bereitschaft bei den Touristen, aber auch gründlichere Überlegungen bei den Kommunen voraus, wie man auf längere Zeit einen „Tourismus mit Einsicht“ betreiben kann.

Können Sie das Altmark-Projekt näher skizzieren?

In Salzwedel gibt es einen jungen, sehr aktiven Kern zur Entwicklung des Tourismus in dieser Region, die bisher ausgesprochen peripher lag. Sie war weithin durch Beschränkungen des Grenzregimes in ihrer Entwicklung eingeengt, verfügt aber über interessante landschaftliche Voraussetzungen gerade für Formen des Wanderns, des Radfahrens und anderer Freizeitbetätigungen. Daneben verfügt die Stadt Salzwedel über eine reiche historische Bausubstanz, die zwar auch durch die Situation der Bauwirtschaft in der DDR allgemein Spuren einer Vernachlässigung zeigt, aber vieles Erhaltenswerte, vieles auch Erhaltensmögliche aufweist. Mit der „Salzwedel -Information“ ist hier schon jetzt etwas in Gang gekommen, was wir unter einem Fremdenverkehrsverein verstehen, den wir an vielen Orten der DDR haben möchten. Gleichzeitig gibt es ein Forschungsinteresse der Universität Bielefeld, die dabei in Verbindung mit dem Fremdenverkehrsverein Teutoburger Wald steht sowie ein Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen, Fördermittel einzusetzen. Als Ministerium für Handel und Tourismus fördern wir diese Aktivitäten ideell so gut es geht, indem wir koordinierend helfen. Das ist für uns das Interessante, daß hier ein wissenschaftliches Interesse an einer solchen bisher peripheren Region mit einem kommunalpolitischen Anliegen, also den konkreten praktischen Erfordernissen einer Stadtverwaltung, unmittelbar verknüpft wird.

„Heuschreckenplage“, „Besucheransturm“, „Horror-Vison“, sind nur einige Menetekel für den prognostizierten touristischen Kreuzzug von West nach Ost in disem Jahr.

Die Bedenken kommen vor allen Dingen von der Ostseeküste. Das ist verständlich, weil sie schon in der Vergangenheit mit ungefähr 4 Millionen langfristig Erholungssuchenden pro Jahr als Zielgebiet von einem Drittel aller Urlaubsreisenden der DDR-Bevölkerung hochfrequentiert war. Jetzt kommen noch mehr dazu, nicht nur von der Landseite, sondern auch von der Seeseite. Dieser Ansturm wirft neue ökologische Probleme auf. Die Hauptsorge ist dort die Frage von Campingplätzen mit der entsprechenden Entsorgung, vor allen Dingen bei Wohnmobilen, auf Chemotoiletten und gleichzeitig die Entsorgungsmöglichkeiten der Sportsegler, die mit Booten von der See her Häfen anlaufen oder auch die Boddengewässer aufsuchen. Es nützt nichts, ein Gebiet abriegeln zu wollen. Es geht nur über Appelle an die Touristen, bestimmte Entsorgungspunkte und Verhaltensweisen einzuhalten.

Einem taz-Bericht zufolge will die DDR-Firma Interhotel zusammen mit westlichen Investoren 50 Kilometer südlich von Berlin im Kreis Königs Wusterhausen einen riesigen Freizeit und Vergnügungspark auf 5.500 Hektar Fläche anlegen. Ist so ein gigantomanisches Tourismusprojekt noch mit dem von Ihnen favorisierten Sanften Tourismus vereinbar?

Ich habe von diesem Projekt noch nichts gelesen und gehört. Es hängt aber sicher damit zusammen, daß die Eigenständigkeit der auf dem Gebiet des Tourismus tätigen Unternehmen sich sehr schnell vollzieht und daß insbesondere Kapitalkräftige dort bemüht sind, eine Marktführerposition einzunehmen oder zu erreichen. Wenn diese Flächenangabe zutreffend ist, dann ist das ja immerhin mehr als das, was an Fläche zu einer Gemeinde gehört.

Der Kreis Königs Wusterhausen und vier Anliegergemeinden sollen für die auf dem Gelände bestehenden Gebäude 150 Millionen Mark von Interhotel erhalten. Entspricht solch ein Tourismus-Vorhaben Ihren Vorstellungen von Sanftem Tourismus?

Solche gigantischen Projekte liegen vom Grundsatz her nicht in unserem Interesse, weil sie einer ausgewogenen Regionalentwicklung kaum dienlich sind. Ich befürchte auch, daß hier die Einschätzung der in den Gemeinden Zuständigen wenig sachlich begründet ist, denn ein solches Unternehmen muß ja auch später florieren. Ich bin etwas überrascht von der Größenordnung, weil sie der Absicht unseres Ministeriums zuwiderläuft. Wir möchten Entscheidungen über Projekte in Übereinstimmung mit regionalen Entwicklungsprogrammen erreichen und wünschen uns gleichzeitig von den Gemeindevertretungen bestätigte Flächennutzungspläne als Grundlage.

Wo liegt denn Ihre Gestaltungskompetenz für einen Sanften Tourismus?

Wir setzen das fort, was schon in der Zeit der Modrow -Regierung vorbereitet worden ist. Wir berücksichtigen die im Nationalparkprogramm festgeschriebene Absicht, annähernd 10 Prozent der Fläche der DDR in unterschiedlicher Weise vor wirtschaftlichen Einflüssen, die sich negativ auswirken könnten, zu schützen.

Wie soll dieser Schutz der Natur konkret aussehen?

Das sind einmal Biosphärenreservate, das sind echte Naturschutzgebiete, die nicht verändert werden sollen, und dann sind es vor allen Dingen die Naturparks, die jetzt wirtschaftlich genutzt werden, das, was wir in der Vergangenheit unter Landschaftsschutzgebieten verstanden haben. Hier müßte eine wirtschaftliche Mehrfachnutzung in einer auf verschiedene Volkswirtschaftszweige abgestimmten Weise betrieben werden. Man kann natürlich in der Nähe eines Biosphärenreservats oder auch eines Naturparks nur sanftere Formen anwenden.

80 Prozent aller Reisen waren früher in der DDR Sozialtourismus, also staatlich gestützter Tourismus, den die DDR-Bürger als „zweite Lohntüte“ erhielten. Wird dieser Sozialtourismus fürderhin ad acta gelegt?

Die Gewerkschaften und die Betriebe waren ja die Träger des Sozialtourismus. Ich denke, daß das auch eine beachtenswerte soziale Leistung war, aber sie hat sich ökonomisch nicht tragen lassen. Es ist klar, daß die staatlichen Subventionen, wenn überhaupt in wesentlich geringerer Höhe vergeben werden, und dann nicht unternehmensorientiert, sondern zielgruppenorientiert eingesetzt werden. Es wird also darum gehen, Möglichkeiten des Sozialtourismus für bestimmte Gruppen wie Behinderte, Senioren und Jugendliche zu sichern.

Welche Zukunft sehen Sie für die bisherigen Staatsreiseunternehmen der DDR wie das „Reisebüro der DDR“ und „Jugendtourist“?

Das „Reisebüro der DDR“ ist in der Umwandlung in eine GmbH, wahrscheinlich unter Herauslösung der Hotelkette und deren Überführung in eine gesonderte GmbH. Es wird sicherlich mit der Währungsunion ein marktwirtliches Prinzip die Geschäftstätigkeit des Reisebüros bestimmen. „Jugendtourist“ wird ein auf spezifische Belange sich orientierendes Reiseunternehmen, daß im Laufe des Jahres aus der Haushaltsfinanzierung ausscheiden wird. Beide bisher in enger Verbindung zum Staat stehenden Unternehmen werden sich nicht nur der Konkurrenz zahlreicher privater Reisebüros in der DDR stellen müssen, sondern auch dem Konkurrenzdruck der bundesdeutschen Reiseunternehmen.

Laut der jüngsten Umfrage des Emnid-Institutes werden rund 23 Millionen Bundesbürger in den nächsten 20 Monaten der DDR einen Besuch abstatten und dabei zumindest einmal übernachten. Werden Sie, bei den vermuteten Engpässen im Beherbergungssektor, auch Ihre Wohnzimmer-Couch zur Verfügung stellen?

Der Hintergrund Ihrer Frage ist natürlich, daß möglichst viele Privatquartiere ins Angebot gebracht werden. Es gibt in der Tat ein großes Interesse privater Anbieter. Im Augenblick erfährt man aber, daß die Touristen besser ausgestattete Hotelquartiere nachfragen oder sich als Tagesausflügler von bundesdeutschen grenznahen Hotelstandorten aus in die DDR begeben, wenn sie nicht ihr eigenes Wohnmobil mitführen.

Wird die Neugier von Bundesbürgern im ersten Jahr der visa und zwangsumtauschfreien Reisefreiheit gen DDR in den nächsten Jahren nicht wieder abebben?

In diesem Jahr werden vor allen Dingen sehr viele Neugierige aus dem Bundesgebiet kommen. Es wird das Schreckgespenst an die Wand gemalt, daß alles überrollt wird. Ich teile diese Auffassung nicht. Aber sicher wäre es mit dem Blick auf eine langfristige Tourismusentwicklung bei uns falsch, von heute auszugehen. Der Bedarf wird sich in den nächsten zwei bis drei Jahren einpegeln.

Wie weit ist der sogenannte Tourismus-Masterplan für die DDR gediehen?

Es wird an einer Tourismus-Konzeption gearbeitet, die in einem Monat abgerundet sein soll. Diese langfristig wirksamen Leitlinien für die Tourismusentwicklung in der DDR können nicht von den geschätzten Millionenbesuchern des Jahres '90 ausgehen. Die Mechanismen, die diesen Prozeß steuern, werden wesentlich vom Staat auf die Selbstverwaltung in den Kommunen übergehen. Gleichzeitig wird die Einflußsphäre staatlicher Stellen ersetzt durch die Aktivität von Fremdenverkehrsverbänden regionaler Art. Zur Zeit schließen sich die Tourismusunternehmen der DDR in mehreren Verbänden zusammen, wobei sich der „Verband der Reisebüro- und Tourismusunternehmer der DDR“ als der wirkungsvollste herausschält.

Sollen denn umweltverträgliche und sozialverantwortliche Kriterien verbindlich in diese Tourismus-Leitlien aufgenommen werden?

Sie müssen dort schriftlich niedergelegt werden und sie müssen sich vor allem auch in staatlich verbindlichen Regelungen ausdrücken, die, ähnlich wie in der Bundesrepublik, auf die Erarbeitung von regionalen Entwicklungsprogrammen hinauslaufen und die gleichzeitig einschließen, daß auch in den Gemeinden neue Flächennutzungspläne vorliegen. Dieser Prozeß birgt auch Widersprüche in sich, wenn Entscheidungen über einzelne Objekte vorab getroffen werden und die Gesamtplanung, die Fragen der Raumordnung umfaßt, noch nicht vorliegt.

Einem Artikel der Fachzeitschrift 'Touristik Aktuell‘ zufolge geht das Gerücht umher, „das Bundeswirtschaftsministerium dränge in Gesprächen mit der DDR-Regierung darauf, das Ministerium für Handel und Tourismus schnellstmöglich ersatzlos zu streichen“. Was ist dran an der Meldung?

Wenn dem so wäre, würde nicht die Regierung über die innere Struktur, den Stellenplan und andere das Ministerium für Handel und Tourismus betreffende Fragen beschließen. Es ist keinesfalls beabsichtigt, diese beiden Bereiche in das DDR -Wirtschaftsministerium einzugliedern. Für uns gibt es auch keinerlei Anzeichen, daß eine solche Information einen realen Hintergrund hat.