KARNEVALSBLUTER

■ Ein Rock-Splatter-Happening im Ecstasy

„Gwar“ aus New York, zum ersten Mal auf einer europäischen Bühne, und zwar im Ecstasy: Viel war zuvor an Berichten, Erzählungen, Bildern herübergekommen; diese Texas Chainsaw, eine Kettensägenhardrockperformance hätte in New York Aufschluß gegeben über moderne archaische Riten. So harrten dann vor allem sehr harte gesunde Straight-edge-Jungs kurzgeschoren vor der Bühne mit ihren weißen Unterhemden und pogoten rum zu einer der besten Vorgruppen seit sehr langer Zeit, die „Murphy's Law“ von weiblichen Unterhosen, vom „wild thing - you make my dick stink“, von „herb“, Dope, Grass als Heavy Metal Ska und vor allem von deutscher Bierreinheit kündeten.

„Gwar“ wiederum sind sechs mittelalterliche Comicfiguren, zwischen Marvel und Richard Corben, in stachligen Rüstungen: drei Männer, die an Gitarren und Drums laut schnell, variationslos humorlos herumlärmen; zwei auf dem Boden krauchende Sklaven und eine Frau am Rande. Überdimensional hängt ein Schwanz eher lächerlich herunter. Sie versuchen Kiss-Comicvisionen mit dem Orgienmysterientheater Herrmann Nitschs zu vermischen und landen beim Kölner Karneval im Mai, ohne das dramaturgisch auch nur irgendwie rechtfertigen zu können.

Mit einer doppelschneidigen Axt wird einer der Götter - die stellen sie dar - geköpft, auf daß pulsierend rote Farbe, nicht Ochsenblut, in den Raum spritzt und die Leute zurückweichen, dann wiederkommen oder sich stehenbleibend wirklich hingeben. Hirn, Blut und Gedärme, Schlachtereien sollen kathartisch wirken oder doch zumindest begeistern. „I'm not a rascist, I'm not a sexist, I'm a fascist“, verkündet der Sänger, um der gespielten Frau die unechten Brüste abzuhauen (rote Farbe spritzt). Nachdem die gewöhnlichen Öffnungen penetriert oder angetippt worden waren, Blut auf dem Arsch des Sklaven darauf hinwies, daß man doch lieber Vaseline verwenden sollte, spritzte erwartungsgemäß unbeholfen literweise Ficksahnesurrogat aus dem gepiercten Riesenschwanz ins Publikum. Anfassen durfte den jedoch keiner; streng wurde einer getadelt, nachdem er dran rumgesukkelt hatte.

Und die ganz echte Frau griff ins Spiel ein, um den letzten Gedanken, daß das etwa sexistisch sein könnte, zu entkräften und erledigte die Götter mit den Papprequisiten des Splatterfilms, reckte zwischendurch ihren ganz echten Hintern ins Publikum. Geschützt vor den Blicken war ihr Genital durch einen schwarzen Zensurstreifen, als wollte sie bedeuten, daß ihr Geschlecht nicht nur „nicht eines“ (Luce Irigaray) ist, sondern gar nichts. Für ihre Möse stand ein Stachel, den sie auch ordentlich benutzte. Nebel wabert undurchdringlich durch den Raum, als „Gwar“ vesrschwinden, ohne daß sie noch zum Abschied ein letztes Mal ins Publikum gespritzt hätten. Von ihrer Arbeit gingen sie heim wie das Publikum.

Rocktheater geht nicht; ob Schröders Roadshow oder Tommy oder Linie 1. Nimmt man es ernst, wird es zum peinlichen Klischee; versucht man sich an der Parodie, landet man im phantasielosen Kunst- und Karnevalskitsch. Einem vordem Blonden allerdings blutete wirklich der Kopf. Männlich stolz darauf schien er zu sein. Dazwischen lag der Mythos der Comicwelt, in den keiner gezogen worden war.

Detlef Kuhlbrodt