Das absolute Ding

■ Körperfotografie in Amerika jetzt: Weber, Ritts, Mapplethorpe, Ruben

Ulf Erdmann Ziegler Weber, Fetischist

Ist jene Fotografie einer Frau, die ihr Spiegelbild küßt: 1) eine Indiskretion des Fotografen oder 2) ein böser Kommentar zum Narzißmus unserer Zeit? Bruce Webers Bild, das Madonna zeigt, wie sie Madonna-im-Spiegel küßt, ist weder Indiskretion noch Kommentar. Im Gegenteil. Indem es Madonna gelingt, uns zu Zuschauern zu machen, erscheint ihr Narzißmus erst berechtigt. Peinlich wäre der Selbstkuß demnach - nur dann, wenn es dafür keine Zeugen gäbe.

Bruce Weber hat wohl wie kein anderer den amerikanischen Narzißmus der achtziger Jahre - den kalifornischen Strand als state of mind - fotografiert, ja überhaupt ins Bild gebracht. Weder erliegt Weber diesem Narzißmus (so wie Newton den Posen „seiner“ Frauen erliegt), noch ist seine Bildsprache über das Thema hinausgewachsen. Eher hat sie sich daran gesättigt. Bruce Webers Monographie ist der drallste Bildband, den ich jemals in den Händen hatte. Es hat wohl noch nie so sehr Spaß gemacht, sich zu ekeln.

Die meisten Fotografien zeigen Männer. Auf den ersten vierzig Seiten meint man, Weber sei ein Sportlerportraitist. Läufer, Ringer, Schwimmer allein, zu zweit, in Gruppen; in Pose, im Sprung, sich balgend; in Shorts, in voller Montur und nackt. Dann kommt ein Text, von Bruce Weber, eine Seite. Er handelt davon, wie er immer für Liz Taylor schwärmte und sie irgendwann, backstage, traf - „she got real close to me, rubbed my neck, and looked up at me with those big violet eyes and said, 'I'd just love to cut your hair‘.“ Die folgenden Fotos zeigen Statisten im Zoetrope Studio, Los Angeles: halbnackte Schönlinge, die zum Teil groteske Accessoires und Teile von Rüstungen tragen. Einer von ihnen, von einer Erscheinung namens Larissa - blonder Haaraufbau: ein Meter hoch - auf heftigste geküßt, zeigt unter seinem Tigerfellslip eine deutliche Erektion.

Bruce Weber ist ein erotischer Fotograf, der sich einer zur Schau gestellten repressiven Sexualität seiner Modelle bedient. Die Konstellation ist paradox, aber sie funktioniert. Die Männer, das Haar von Frau Taylor perfekt beschnitten, stellen ihre Körper als Montagen von Fetischen zur Schau. Ob prominent oder unbekannt, Strandlöwe oder Collegeboy, zehn oder fünfunddreißig Jahre alt: Weber reduziert die Jungen und Männer auf eine einheitliche, klare Macho-Männlichkeit, eine sexuelle Identität, die sich in der Gruppe bewahrt; eine Identität, für die der andere Mann das ist, was für Madonna der Spiegel ist. Es ist nicht die funktionierende schwule Welt des Mapplethorpe. Es ist die latent gierige homosexuelle Halb-Welt, für die die Frau der programmierte Gegenpart und dennoch das Wesen vom anderen Stern ist. Es ist die Welt der zahlenden Papas, der brüllenden Trainer. Aber das Ganze nicht auf kahl und öde (Internat), sondern auf fröhlich und mondän. Mann hat es so gewollt.

Dabei funktionieren die reinen Portraits, besonders die der frühpubertären Knaben, nur im Kontext des Buches, das, von hinten angeblättert, fast ein fotografisches Tagebuch ist: Dies ist unser Lieblingssee, hier baden meine Freunde, das ist mein Hund. Die Grundatmosphäre des Buchs aber bestimmen jene Bilder - fast ausnahmslos bequem auf die Seite gepaßte, kastige Hochformate - die im Freien aufgenommen sind. Es sind Protokolle kleiner Szenen, aufwendig zur perfekten Lockerheit arrangiert, Licht auf den properen Körpern, der Hintergrund unscharf, das Ganze geschlossen vom schweren Griselgrau eines Himmels, der blau war, bevor er auf Film kam. Ein bißchen die „rebellischen“ Spätfünfziger, ein bißchen faschistische Licht-Bildnerei, für die Studioaufnahmen deutliche Anleihen bei der Tänzerromantik des George Platt-Lynes (Amerika, vierziger Jahre). Nicht zu vergessen der neo-klassische Körperkult und die antikisierte Päderastie.

Die kleinen Geschichten, als Kapitelaufmacher eingefügt, beschreiben den Interessenshorizont Webers: Stars, Filme, Magazine, Stil, Sommer und Winter. Es gibt nur glückliche weiße Menschen, und entscheidendes Kriterium für Gesellschaftsfähigkeit ist, auf einem Foto Babe Paley als Babe Paley zu erkennen. Dieser Fotograf, der in einem ebenfalls sehr stilvollen Film den Oberversager Chet Baker zur Ikone der Jazzgeschichte zu verklären versuchte (Let's Get Lost), dürfte einer der wirksamsten Bilderproduzenten der Gegenwart sein. Ritts, Ikonograph

Auch Herb Ritts liebt die properen jungen Männer, ist noch viel mehr als Weber besessen von Muskelpaketen. Als Poster bekannt geworden ist das Bild von „Fred“ aus der „Bodyshop -Serie“, 1984: Ein trotziger, junger Bodybuilding-Schönling, der - Oberkörper frei, die Arbeitshose mehrfach geflickt, zerschlissen und ölig - zwei große Reifen trägt; körperliche Arbeit als erotische Chiffre, jedes Element von Alltag pedantisch arrangiert. Der Betrachter soll wissen, mit welcher Raffinesse er verführt wird (zu betrachten).

Bei den Prominenten gibt es Überschneidungen: Beide, Weber und Ritts, fotografierten Madonna, Patrick Swayze und Sam Shepard (der im deutschsprachigen Verzeichnis des Ritts -Buchs zu „Shepherd“ mutiert ist). Aber Ritts ist als Fotograf radikaler. Sam Shepard reduziert er auf eine Geste: Schon die linke Hand des Dramatikers nimmt die untere Hälfte des Bildes ein, der Rest zeigt die in angespannter Konzentration geschlossenen schattigen Augen, die gefurchte Stirn, den leuchtenden Scheitel. Über Jack Nicholsons mafiotisches Grinsen legt der Fotograf eine riesige Lupe. Madonnas Allerweltsaugen zeigt er auf einer Doppelseite auf weißem Grund. Während bei Weber die Rituale bei den Fotografierten liegen und - scheinbar - „nur noch“ dokumentiert werden, ist Ritts ständig auf der Suche nach dem Kultischen, das sich erst im Foto zur überzeugenden, im besten Fall „endgültigen“ Form schließt. Dabei benutzt er ein gewisses Set von Accessoires, die wiederkehren: Körper werden schwarz bemalt oder in schwarze Schleier gehüllt; seltsames trockenes Buschwerk (tumbleweed) wird von nackten Figuren am Strand wie wuchernde Haarpracht getragen. Manchmal stärken leichte Bewegungsunschärfen die Metaphorik einer Geste gegen die Anziehungskraft der Haut.

Einzelne Fotografien erreichen eine schon fast entnervende Eindringlichkeit (wie das Bild von „Fred mit Reifen“), aber der Zusammenhalt der Fotografien im Bildband funktioniert längst nicht so gut wie bei Weber, der seine Stil-trophäen wie ein Samnmler präsentieren kann, bruchlos, jeder Körper das absolute Ding. Bei Ritts dominiert der Versuch mit der Form, aber man spürt, was es kostet, wenn die Formfindung nicht mehr als „Experiment“ von einem Avantgarde- oder Aufbruchpathos begleitet wird: Sie verliert ihren inneren Zusammenhalt, ihre Evidenz. Dieser Zusammenhalt hatte in den zwanziger Jahren hier, in den USA bis in die vierziger Jahre bestanden. Er nährte sich aus einer Ideologie - zum Beispiel: „Sachlichkeit“ - die das Werk einer Generation wie eine Spange zusammengehalten hatte. An Ritts kann man beobachten, wie die Rückkehr der „Subjektivität“ immer auch ein Stück Beliebigkeit mit sich bringt. Tatsächlich erinnern seine Fotografien teils an die lyrische Körperfotografie des Minor White aus den fünfziger Jahren: schön gesehen, schnell vergessen.

Mapplethorpe, Blindgänger

Die Vermischung des Genres Akt und Portrait hat, außer dem Maler Rainer Fetting, wohl keiner so konsequent verfolgt wie Robert Mapplethorpe, an dem sich jetzt in Amerika Zensurkämpfe entzünden, die eine weitgehende Erosion der kapitalistisch-libertären Gesellschaft ahnen lassen. Der Münchner Verlag Schirmer/Mosel hat sein Mapplethorpe-Angebot mit Some Women auf sechs Bildbände erweitert. Es ist verblüffend, wie Mapplethorpe hinter seine Männerbildnisse zurückfällt. Der Blick der Frauen reicht nur bis zum Glas des Objektivs; ihr Bedürfnis, ihren Körper zu zeigen oder zu verbergen, wird von keinem Gegenüber herausgefordert oder unterlaufen. Der Fotograf weiß kein Mittel gegen das Possierliche, wählt für das Licht nur die bewährten Lösungen und überschreitet mit etlichen Fotografien deutlich die Grenze zum Kitsch, ungewollt.

Ruben, Grammatikerin

Ernestine Ruben ist in etwa das Gegenteil von Herlinde Koelbl. Die Fotografin Koelbl hatte begriffen, daß Männerkörper gefragt waren, aber nicht begriffen, daß die fotografische Bildsprache des Männerakts der achtziger Jahre deshalb effektiv und brisant geworden war, weil die Fotografen ihre Leidenschaften in eine Ordnung brachten, plausibel machten. Voraussetzung war die Existenz von Leidenschaften.

Vernachlässigt worden war indessen der andere, inzwischen fast traditionell zu nennende Weg der Fotografie: das Experiment mit der Form, das ich unter einem Aspekt, seiner Ideologisierung, angesprochen hatte. Aus der „Sicht“ des Experiments ist der Körper eine eigenartige Akkumulation von Flächen, Wülsten, Vertiefungen, Hell- und Dunkelkontrasten, Glänzendem und Stumpfem, dessen Schlüssigkeit oder Integrität im Akt des Fotografierens unter Beweis gestellt wird.

Diesen Weg geht Ernestine Ruben, die Frauen und Männer fotgrafiert, meist allein, selten zusammen. Die Kapitel ihres Buchs lauten: Einzelne Figuren/Mehrere Figuren/Tänze/Stufen der Realität/Landschaften/Verschmelzungen. Das ist die ganze Grammatik des experimentellen Programms, vom Adamsapfel im Sonnenlicht bis zur technischen Überblendung von Körper und Landschaft. Das kann man altmodisch finden. Was noch nichts sagt über die Qualität. Immerhin ist es ein Weg, der zwischen technischem Prozeß (wie es ihn auch in der Malerei gibt) und Zufall einen Raum öffnet, den der Entdeckung. Eine Entdeckung kann es zum Beispiel sein, die erotische Intensität eines Individuums in einem einzigen Bild schlüssig zu formulieren: wobei die Schlüssigkeit eine der Form ist; die Frage, welche Sexualpraxis etwa jener Mensch privilegiere, bleibt unberührt. (Überhaupt sind diese Körper keine Träger kollektiver Projektionen, wie die fetischisierten Männer von Mapplethorpe bis Ritts.)

Diese Schlüssigkeit herzustellen gelingt Ernestine Ruben, wenn nicht in jedem Bild, dann doch in jedem dritten. Daß gleich drei geschwätzige Vorworte versuchen, diese Fotografie von ihrer potentiell „zärtlichen“ Seite zu beschreiben, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, Ruben im Kontext zeitgenössischer erotischer Kunst (zum Beispiel: Weber, Ritts) zu beschreiben, läßt das Buch unwichtiger erscheinen, als es langfristig sein könnte. Leider sind einige der Fotos an Stellen, die beim Vergrößern verunglückt sind (Fussel), schlampig retuschiert. Das müßte der Verlag nicht hinnehmen. Bücher als Objekte

Die Bücher des Schirmer/Mosel-Verlags - Weber, Ritts und Mapplethorpe - sind mit außerordentlicher Sorgfalt entworfen. Sie sind alle Übernahmen amerikanischer Produktionen und signalisieren, was in Deutschland weitgehend fehlt: Buchdesign. Bei allen drei Büchern ist mehr oder minder stumpfes Papier verwendet worden, Schriften und Einbände, weiße oder eingeschwärzte Seiten sind mit Bedacht eingesetzt. Webers Buch ist ein schweres Kompendium, das einen beim Blättern ein bißchen in einen Rausch versetzt; der Ritts-Band, schmaler, größer, hat etwas von einem Portfolio und muß nicht geblättert, sondern regelrecht erforscht werden, weil er ausklappbare Doppelseiten enthält, deren unterschiedliche Faltung mit Vorsicht zu ertasten ist.

Die Edition Stemmle dagegen hat sich schon lang auf ein Verlagsdesign kapriziert: viel Weiß, seriphenlose Schrift, Hochglanz - das immer noch davon ausgeht, daß ein Buch ein guter Ersatz für den Besuch in der Galerie sein solle. Gerade die schwächeren Bilder werden in dieser neutralen Präsentation ungeheuer wichtig; in einem raffiniert gemachten Buch tauchen sie unter.

Die lithographische und drucktechnische Wiedergabe von Fotografien ist auf einem noch nie erreichten Stand - sofern das Geld dafür ausgegeben wird -, und Foto-Bildbände sind dabei, zu Ikonen der Zeit zu werden, in der sie entstanden sind.

Bruce Weber. Herausgegeben und designed von John Cheim. Schirmer/Mosel-Verlag. 118 DM.

Herb Ritts: Pictures. Design Jack Woody. Schirmer/Mosel -Verlag. 148 DM.

Robert Mapplethorpe: Some Women. Bildauswahl und Design Dimitri Levas. Einleitung Joan Didion. 98 DM.

Ernestine Ruben. Photographien. Edition Stemmle. 78 DM.