Lords wollen Geschichte ruhen lassen

■ Britisches Oberhaus stimmt gegen die Verfolgung von Kriegsverbrechern / Verfassungskrise

London (taz/afp) - Das britische Oberhaus hat mit großer Mehrheit ein Gesetzesprojekt abgelehnt, mit dem die juristische Verfolgung ehemaliger Kriegsverbrecher in Großbritannien ermöglicht werden sollte. Mit 207 gegen 74 Stimmen lehnten sie die bereits vom Unterhaus beschlossene „War Crimes Bill“ ab, mit der eine Rechtslücke geschlossen werden sollte. Großbritannien ist das einzige Land der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, das auf seinem Territorium lebende, ausländische Kriegsverbrecher nicht gerichtlich verfolgen kann.

In der emotionalen Debatte wandten sich vor allem ältere Lords gegen die Rechtsänderung. Nicht Gerechtigkeit, sondern Rache wäre das Ergebnis des Gesetzes, sagte Lord Shawcross, einer der Ankläger bei den Nürnberger Prozessen. Lord Callaghan, ehemaliger Premierminister, warnte vor einem Aufflammen des Antisemitismus, falls Videoaufzeichnungen von in der UdSSR oder Polen lebenden Zeugen in Englands Medien gezeigt würden. Andere äußerten juristische Bedenken gegen ein rückwirkendes Gesetz. Weitere Redner forderten jedoch die moralische Verantworung Großbritanniens ein.

Die Ablehnung des Gesetzentwurfs bringt jetzt verfassungsrechtliche Probleme: Es ist das erste Mal seit 1949, daß das nichtgewählte Oberhaus einen vom Unterhaus gebilligten Gesetzentwurf der Regierung ablehnt. Jetzt ist die „War Crimes Bill“ vorerst gestorben, da das Votum eine aufschiebende Wirkung hat. Die Regierung müßte jetzt zu einem Sondergesetz greifen, um den Entwurf in der nächsten Legislaturperiode noch einmal aufzugreifen. Gestern beschloß das Kabinett, eine Entscheidung darüber erstmal zu vertagen und zu warten, „bis sich der Sturm gelegt hat“.

D.J.