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Nato nach INF „voller Pläne“

Umrüsten statt Abrüsten: seegestützte US-Atomraketen (SLCM) dem Nato-Kommando unterstellt  ■  Aus Washington Andreas Zumach

„In derselben Sekunde, in der wir den Mittelstreckenvertrag (INF) im Dezember 1987 unterschrieben, waren wir voller Pläne für neue see- und luftgestützte Cruise Missiles, Lance -Raketen und atomare Artilleriegranaten.“ Mit diesen Worten beschrieb der ehemalige Operationschef der US-Streitkräfte in Europa, Admiral a.D. Eugene Caroll gestern in Washington die Haltung in der Nato, die im April 1989 zur Unterstellung atomarer seegestützter Cruise Missiles (SLCM) unter das Oberkommando der westlichen Allianz führte. Die bislang geheimgehaltene und an den Parlamenten der Nato-Staaten vorbei getroffene Entscheidung wurde gestern durch eine Studie des „British American Security Council“ (BASIC) bekannt. In ihr wird aus dem Protokoll einer vertraulichen Sitzung des Streitkräfteausschusses im US-Senat vom 4. Mai 1989 zitiert. Auf eine Frage des Ausschußvorsitzenden Sam Nunn hin erklärte der Operationschef der US-Marine, Admiral Trost: „Kürzlich haben die Nato-Verteidigungsminister eine Übereinkunft („Memorandum of agreement“) getroffen, durch die der Planungsprozeß für atomare seegestützte Cruise Missiles in Unterstützung für das Bündnis umgesetzt werden.“ Trost bezog sich auf die Tagung der Nuklearen Planungsgruppe Ende April 1989 in Brüssel, an der der damalige Bundesverteidigungsminister Scholz teilnahm.

Zum Nato-Arsenal gehören damit zur Zeit rund 325 atomare SCLMs vom Typ Tomahawk mit Reichweiten bis zu 2.500 km auf Schiffen und U-Booten im Nordatlantik, Mittelmeer und westeuropäischen Küstengewässern. Damit sind Landziele tief in der UdSSR erreichbar. „Ein Teilersatz für die mit dem INF -Vertrag aus Westeuropa abzuziehenden 572 landgestützten Cruise Missiles“, erklärte Carroll. Laut Admiral Bill Bowes, Direktor des Cruise Missiles Programms des Pentagon, sind SLCMs „die Waffen, die die Russen am meisten fürchten.“ Die Entscheidung ist Teil der Umstrukturierung des Arsenals der Nato von landgestützten auf flexibler einsetzbare see- und luftgestützte Atomwaffen. Auf Drängen der USA wurden SLCMs aus einem START-Abkommen mit der UdSSR ausgeklammert. Eine separate - nicht bindende - Nebenvereinbarung erlaubt jeder Seite die Stationierung von 880 SLCMs - etwa 130 mehr, als die bisherigen Pentagonplanungen vorsahen.

Die jetzt bekanntgewordene Entscheidung hatte sich lange vor April 1989 angedeutet. Im Oktober 1988 beriet die Nukleare Planungsgruppe im niederländischen Scheveningen eine geheime Vorlage der „High Level Group“ führender Stabsoffiziere des Brüsseler Nato-Hauptquartiers. In dem seinerzeit von der taz veröffentlichten Papier wird den Verteidigungsministern „empfohlen, den kontinuierlichen Fortschritt zu begrüßen, den die militärischen Stäbe der Nato und der USA bei der Entwicklung von Konzepten für den selektiven Einsatz von SCLMs machen“. Scholz und Co. bestritten damals alle solche Pläne. Es sei „eine bittere Ironie, daß die Nato derzeit eine harschere Politik verfolge, als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges“, so BASIC.

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