Sowjetjuden fliehen in die DDR

Über hundert sind schon im Auffanglager in Ahrensfelde / Bürokratische Hürden  ■  Aus Berlin Anita Kugler

Sowjetische Juden fliehen vor der wachsenden antisemitischen Stimmung in ihrer Heimat in die DDR: Seit Anfang Mai sind 89 Erwachsenen und 109 Kinder angekommen, zur Zeit folgen ihnen pro Woche weitere 40 nach. Die Flüchtlige werden im Moment in einem ehemaligen Stasi-Gebäude in Ahrensfelde untergebracht, in dem bis zur letzten Woche Flüchtlinge aus Rumänien hausten. Das Lager hat Platz für 200 Flüchtlinge, wird also bald überfüllt sein.

Zwar hat der Ministerrat der DDR - im Gegensatz zur bundesdeutschen Regierung - grundsätzlich entschieden, daß Juden aus der Sowjetunion ein Bleiberecht zugestanden bekommen; in der Praxis ist der Fall jedoch komplizierter. Denn zunächst muß geklärt werden, wer eigentlich „Jude“ im Sinne der Regelung ist.

Zwar wird in den sowjetischen Reisepässen ausdrücklich die Zugehörigkeit zur „jüdischen Nationalität“ vermerkt, doch genügt das als „Eintrittskarte“ für Ahrensfelde nicht. Wer Jude ist, entscheidet der Verband der jüdischen Gemeinden in der DDR, beziehungsweise die jüdische Gemeinde in Ost -Berlin. Nur eine von dieser Gemeinde ausgestellte Bescheinigung berechtigt bisher zur Übernachtung in Ahrensfelde, wenn auch Klaus Pritzkuleit, Mitarbeiter im Büro des Ministerrats bestreitet, daß dies eine bindende Vereinbarung sei. Dieses Vorgehen ist ein Unding. Denn die jüdische Gemeinde ist keine säkulare Einrichtung und nicht alle Juden sind religiös. Davon abgesehen, gibt es in der DDR noch eine zweite jüdische Gemeinde, die orthodoxe „Adass Jisroel“. Eine von ihr ausgestellte Bescheinigung ist von der Bürokratie nicht vorgesehen, mithin ungültig. Gestern wurde beim Ministerrat mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin über das weitere Vorgehen beraten, bis Redaktionsschluß ohne Ergebnis. Siehe Reportage Seite 6