„Schlagen macht high“

Hooligans plädieren für organisierte Gewalt / Soziale Verelendung spielt kaum eine Rolle / Auch Unternehmer mischen mit / Rechtsradikale versuchen in der Szene Fuß zu fassen / Aufrüstung für den Kampf in Sardinien  ■  Aus London Jerry Sommer

„Wir haben an dem Wochenende Bournemouth übernommen.“ In Dave Browns Stimme schwingt Stolz mit - Stolz auf die Leeds -United-Fans, die beim letzten Spiel der Saison Anfang Mai das kleine südenglische Seebad auseinandergenommen haben. Kneipen gingen zu Bruch, Schaufenster wurden eingeschlagen, Hunderte von Fußballfans lieferten sich stundenlange Schlachten mit den Bobbys, die ihrerseits kräftig zulangten.

Dave war in Bournemouth, aber an den Auseinandersetzungen hat er nicht teilgenommen. Der Ex-Falklandkrieger hat gerade 18 Monate wegen „Hooliganismus“ im Knast gesessen. Jetzt hält er sich zurück. Doch auch aus einem anderen Grund war er nicht mittenmang: Amoklauf ist nicht seine Sache. Er gehört zu den „harten Jungs“. Geringschätzig meint er: „Die da einen draufgemacht haben sind doch Idioten, Angeber und Säufer.“ Mick, ein anderes Mitglied derselben „Firma“, erläutert: „Was da los war, ist sinnlose Gewalt. Wir sind für organisierte Gewalt. Wir organisieren unsere Kämpfe mit Gleichgesinnten von anderen Clubs, aber wir gehen nicht auf wehrlose Barmänner und Schaufenster los.“

Warum schlagen sie sich? Das macht „high“, sei wie ein Adrenalinstoß. Daves Motivation: „Du hattest vielleicht eine schlechte Woche, willst deine Wut rauslassen. Du suchst eben nach einem Kampf.“ Die Kämpfe vorbereiten, die Taktik ausdenken, wie man in andere Städte kommt und der Polizei ein Schnippchen schlägt - das ist schon der halbe Spaß. Ein Samstag mit Fußball ist gut. Ein Samstag mit Fußball und einem schönen Fight ist besser.

Viele englische Clubs haben ihre schlagfreudigen Anhänger. Zusammen mit den weniger organisierten, aber ebenfalls nicht zimperlichen Fans, die von den harten Jungs als „Idioten“ bezeichnet werden, bilden sie die englische Hooligan-Szene. Motivation und Ursachen sind vielschichtig. Die soziale Verelendung, in die Teile der britischen Jugend unter Thatcher geraten sind, spielen dabei nur eine geringe Rolle. Nur wenige der Jungs - Hooliganismus ist Männersache - sind arbeitslos. Die meisten haben Jobs als Bauarbeiter, Wachmänner, Vertreter und zum Teil sogar als selbständige Unternehmer. Was sie verbindet, ist die Schlägerei als Farbtupfer im grauen Alltag.

Das Gefühl der Solidarität und Loyalität ist innerhalb der „Firmen“ weit verbreitet: Jeder tritt für den anderen ein. Riten wie die einjährige „Lehre“ als Schläger an vorderster Front fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Hooligans verbindet der Wille, die „Nummer eins“ zu sein - als Fußballclub, als Stadt, als Land und natürlich als Firma. Bei internationalen Spielen geht es um das Ansehen von „Queen and Country“. Nationalistischer Chauvinismus ist Teil der Hooligan-Ideologie. „Bei der Weltmeisterschaft in Italien müssen wir beweisen, daß wir nach wie vor die Besten sind“, sagt Mick - und er meint nicht die Beherrschung des runden Leders, sondern der Fäuste.

Jerry von den berüchtigten „Chelsea-Kopfjägern“ sagt: „Wer die Königin beschimpft, kriegt es mit mir zu tun.“ Wenn er auf Argentinier trifft, gibt es kein Pardon - wegen Falkland. Da wird der selbstgebastelte Moralkodex, wonach Unbeteiligte und deutlich Schwächere in Ruhe gelassen werden, schon mal außer Kraft gesetzt. Die „British National Party“, die englischen Nazis, haben in den vergangenen Jahren versucht, in der Hooligan-Szene mitzumischen. Der Verkauf ihrer Zeitung vor Fußballstadien hat zwar nachgelassen, da sie durch Spaltungen geschwächt sind, aber der Geist ist noch lebendig. Rassismus und Angst vor „Überfremdung“ gehören zum Gedankengut der Hooligans wie das Amen zur Kirche.

Der Thatcherismus hat den Hooliganismus zwar nicht hervorgebracht, doch beide „Ideologien“ weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Macho-Patriotismus, Intellektuellenfeindlichkeit, Verachtung der Schwachen und Erfolg um jeden Preis seien „Werte“, die der Thatcherist ebenso schätzt wie der Hooligan, meint der „Hooliganismus -Wissenschaftler“ John Williams.

Trotz der gründlichen polizeilichen Vorbereitung - die Carabinieri nahmen bei den Bobbys Nachhilfeunterricht werden Krawalle bei der morgen beginnenden Weltmeisterschaft kaum ausbleiben. T-Shirts mit dem Aufdruck „Italien: Invasion 1990“ und „Der Alptraum kehrt zurück“ fanden in England reißenden Absatz. Doch die italienischen „Kollegen“ haben Heimvorteil. Besonders in Nord-Italien gibt es Firmen, die für ihre Gewalttätigkeit berüchtigt sind. Der Einfluß rechtsradikaler Gruppen ist dort nicht geringer als bei bundesdeutschen Hooligans, die ebenfalls auf dem Marsch nach Rom sind. „Die Holländer haben zwar bei der Europameisterschaft in der Bundesrepublik gekniffen“, meint Mick, „aber inzwischen haben sie ganz schön aufgeholt.“ Diese Auffassung teilt Hans, ein 19jähriger Holländer: „Wir haben schon Bomben in der Größe von Tennisbällen voller Rasierklingen durch die Polizeikontrollen ins Stadion geschmuggelt. Das wird uns auf Sardinien genauso gelingen.“

Dort treffen die Fußballteams von England und den Niederlanden am 16. Juni zusammen. Ein Hooligan sagte erwartungsvoll: „Vielleicht verbünden sich die Jungs ja auch gegen die Polizei. Wenn gar nichts anderes geht, schlagen sich die verschiedenen englischen Firmen notfalls untereinander.“

Der Autor lebt als freier Journalist in London.