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Lüge im Merkle-Prozeß? Filbinger in Verdacht

■ Der ehemalige Ministerpräsident kann sich auch im Verfahren um die CDU-Geldwaschanlage mal wieder an nichts erinnern

Stuttgart (taz) - Wegen des Verdachtes der uneidlichen Falschaussage ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft jetzt gegen den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU). Nach seiner Zeugenvernehmung im Parteispendenprozeß gegen den ehemaligen Chef des Industrieunternehmens Bosch, Hans Merkle, waren erhebliche Zweifel an den Aussagen des Unionspolitikers mit dem pathologisch schlechten Gedächtnis aufgetaucht.

Nach seinem Sturz als Ministerpräsident im August 1978, droht Filbinger wieder einmal zum Opfer seiner eigenen Erinnerungslücken zu werden: Eine uneidliche Falschaussage wird mit einer Freiheitsstrage zwischen drei Monaten und fünf Jahren geahndet.

Wie schon 1978, als sich der „furchtbare Jurist“ in eitler Selbstgerechtigkeit nicht mehr an die von ihm als NS-Richter in den letzten Kriegstagen gefällten Todesurteile erinnern mochte, kam ihm vor Gericht beim Stichwort „Spendenwaschanlagen“ ebenfalls keine Erleuchtung. Der in den Räumen der CDU-Landesgeschäftsstelle einquartierte und ausschließlich zur Spendenbeschaffung für die Union wirkende „Verband der Wirtschaft zur Bildung neuen Eigentums“ sei ihm völlig unbekannt gewesen, hatte Filbinger vor Gericht erklärt. Auf bohrende Nachfragen des Richters Teichmann fragte der heutige, baden-württembergische CDU -Ehrenvorsitzende verwundert zurück: „War da ein Schild angebracht?“ Er selbst wollte die Landesgeschäftsstelle erstmals Ende 1978 betreten haben.

Nach Informationen der 'Frankfurter Rundschau‘ (FR) war Filbinger aber alljährlich dort zur Weihnachtsfeier erschienen. An diesem Widerspruch konnte der Oberstaatsanwalt Dieter Jung wohl nicht vorbei. Bei der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Filbinger beruft sich die Staatsanwaltschaft auf die Angaben der FR sowie auf nicht näher genannte Hintergrundinformationen. Ein erstes Alibi für Filbinger gab es vom früheren CDU -Landesgeschäftsfüher Walter Penther: Zu Filbingers Amtszeit habe es solche Weihnachtsfeiern noch nicht gegeben.

Erwin Single

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