Fauler Kompromiß im Streit um Rinderseuche

■ EG-Agrarminister einigten sich nach Marathonverhandlungen auf eine Aufhebung des Importstopps / Großbritannien darf nur „erregerfreies Fleisch“ ausführen / Kälber dürfen weiter gehandelt werden / Das Pariser Institut Pasteur hält auch französische Kühe für infiziert

Berlin (taz/ap) - Nach fast 24stündigen Verhandlungen haben sich die Agrarminister der EG gestern in Brüssel auf einen Kompromiß im Streit um die britische Rinderseuche geeinigt. Er sieht vor, daß britische Züchter von heute an nur noch „erregerfreies Fleisch“ in die anderen EG-Staaten liefern dürfen. Zugleich sagten Frankreich, Italien und die Bundesrepublik zu, ihren Importstopp für britisches Rindfleisch schrittweise aufzuheben.

Der Kompromiß sieht erstens vor, daß britische Rinderproduzenten Fleisch nur dann liefern dürfen, wenn es aus „seuchenfreien Herden“ stammt. Fleisch von gesunden Tieren aus verseuchten Beständen darf nur dann ausgeführt werden, wenn es ohne Knochen geliefert wird und zusätzlich Hirn, Rückenmark, Thymusdrüse, Mandeln, Milz, Gedärme sowie andere Innereien und Lymphgewebe entfernt wurden. Die Brüsseler Experten gehen dabei davon aus, daß von dem schieren Muskelfleisch auch dann keine Gefahr für den Menschen ausgeht, wenn das Tier bereits mit dem Erreger infiziert, die Krankheit aber noch nicht ausgebrochen ist. Drittens schließlich erlaubt der Kompromiß die Ausfuhr von Kälbern bis zu einem Alter von sechs Monaten, wenn sichergestellt ist, daß sie von gesunden Kühen stammen.

Die Seuche (BSE) wird vermutlich durch aus Schafabfall gewonnenes Futtermehl auf die Rinder übertragen. BSE verwandelt das Gehirn in eine schwammförmige Masse. Seit 1986, als die Krankheit entdeckt wurde, sind über 14.000 britische Rinder daran gestorben oder mußten notgeschlachtet werden. Da die Symptome erst vier bis sechs Jahre nach der Ansteckung auftreten und keine Antikörper gebildet werden, ist BSE im Frühstadium praktisch nicht nachweisbar. Wissenschaftler haben festgestellt, daß die Seuche auf Katzen und Mäuse übertragen werden kann, wenn die Tiere mit infiziertem Rinderhirngewebe gefüttert werden. Dennoch erklärte der tiermedizinische Ausschuß der EG am Mittwoch, daß die Ansteckungsgefahr für Menschen „äußerst schwach“ sei: „In Anbetracht des derzeitigen Wissensstandes stellt Rindfleisch aus Ländern, in denen BSE auftritt, keine Gefahr für das öffentliche Wohl dar.“

Vor dem gestrigen Kompromiß drohte die Kuhseuche in der EG zu einem ernsten Konflikt zu werden. Der britische Agrarminister Gummer bezeichnete den französischen, italienischen und deutschen Boykott des Rindfleischs als „gesetzeswidrig“ und drohte mit Gegenmaßnahmen. Offensichtlich ist auch nicht nur Großbritannien von der Seuche betroffen. Gummer legte einen Bericht vor, der von wissenschaftlichen Beratern des Europäischen Parlaments erstellt worden war. Darin heißt es, daß französische Bauern absichtlich die Symptome für die Rinderseuche verschweigen, weil es in Frankreich - im Gegensatz zu Großbritannien keinen Schadensersatz für die von BSE dahingerafften Tiere gebe. „Die französischen Bauern haben Angst, die Krankheit zu melden, weil sie wissen, daß sie dann Geld verlieren“, sagte Georges Mezelas vom Institut Pasteur in Paris, der den Bericht verfasst hatte.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) hatte dagegen bereits gestern morgen gefordert, auch den Kälberimport aus Großbritannien sofort zu unterbinden, denn ein einziges BSE -infiziertes Tier auf dem Kontinent könne unübersehbare Folgen haben.

Raso