Fundamental-opportunistisch gegen Krise

Die Grünen: Vor dem heute beginnenden Parteitag denkt keiner an Spaltung, Wunsch nach Ausgleich bestimmt die Partei / Bei Neuwahl des Bundesvorstands hat reformorientierte Strömung noch keine KandidatInnen anzubieten  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Plötzlich wollen alle Ökologen sein. Was für die Umwelt -Partei selbstverständlich sein sollte, ist vor der dreitägigen Bundesdelegiertenkonferenz in Dortmund das Vehikel für die Suche nach neuer Geschlossenheit. Die Betonung des ökologischen Schwerpunktes quer durch alle Gruppierungen ist zugleich ein Reflex auf den beim letzten Parteitag in Hagen gescheiterten Versuch der realpolitischen Strömung, mit der Ökologiefrage die Linken aus der Partei herauszuhebeln.

In Dortmund wird es keinen erneuten Versuch geben, eine konfrontative Standortbestimmung voranzutreiben; Ausdruck der herrschenden Stimmung ist ein gemeinsamer Resolutionsentwurf des zerstrittenen Bundesvorstandes zur Klimakatastrophe, mit dem alle Strömungen leben können. Darin fordern die Grünen als „radikale Partei“, die Industriegesellschaft „von Grund auf zu reformieren“ und propagieren neben einem gesamtdeutschen ökologischen Umbauprogramm eine Baumpflanzaktion.

Ein „Placebo“ zur Beruhigung der Partei, das die Diskussion nicht entfacht, sondern erstickt, kommentiert bissig ein Beobachter. Dennoch trifft es das Interesse der Basis, die der Parteilinken vor zwei Monaten in Hagen zwar einige herbe Niederlagen beibrachte, sich aber zugleich dem versuchten Durchmarsch der Realos klar verweigerte. Die Anti-Spaltungs -Initiative um die Bundestagsabgeordnete Christa Vennegerts, die auf Integration und Erhalt des Strömungspluralismus setzt, drückt die Stimmungslage am klarsten aus. Sie seien auf einen „Fundamentalopportunismus“ eingestellt, bekommen die Delgierten jetzt zu hören - aus den Reihen der Realos.

Die haben darauf verzichtet, ihr angekündigtes ökologisches Richtungspapier vorzulegen. Abgedrängt unter den letzten Tagungsordnungspunkt „Sonstiges“ ist ein „ökologisches Manifest“ aus den Reihen des „Grünen Aufbruchs“, der Mittelströmung der Partei, die nach dem Desaster von Hagen ihr Bündnis mit den Realos vorsichtig wieder gelockert hat. Im Manifest wird ein „ökologisch begründeteter Konservatismus“ jenseits der Klassenfrage und des grünen links-rechts-Schemas propagiert und zugleich kritisiert, bei den Grünen hätten zu lange die Themen Staat, Nato, Terrorismus, Faschismus und Sozialismus im Mittelpunkt gestanden. Zur Abstimmung aber soll das Manifest nicht gestellt werden, um Spaltungsvorwürfen und einer absehbaren Niederlage zu entgehen; vielmehr möchten die Verfasser das Papier als langfristige Diskussionsgrundlage verstanden wissen.

Auch der unerwartete Einzug in den nordrhein-westfälischen Landtag und die bevorstehende Regierungsbeteiligung in Niedersachsen waren beruhigender Balsam für die gepeinigte grüne Seele. Zugleich hat es die Neigung verstärkt, vorhandene Probleme zu übersehen. Kennzeichnend ist, daß es keinerlei Versuche gibt, die völlig unzulänglichen Arbeitsstrukturen der Partei zu verändern. Dabei besteht weitgehender Konsens, daß die Grünen endlich die Erfahrungen aus zehnjähriger Parteigeschichte umsetzen müssen und sich Realos wie auch der Sprecher des „Linken Forums“, Ludger Volmer, in ihren Vorstellungen vielfach decken.

Weil auch die Frage des Zusammenwachsens mit der DDR -Schwesterpartei ohne tiefgreifende Differenzen ist, wird die Neuwahl des Bundesvorstands voraussichtlich zum Kern des Parteitags werden. In Sachen gesamtdeutsche Grüne hat der Bundeshauptausschuß den Delegierten einen Beschluß auf den Weg gegeben, eine „konföderative Struktur mit personeller, politischer und finanzieller Autonomie“ anzustreben. Alles weitere, auch die mögliche Einbindung der Bürgerrechtsgruppen aus dem Bündnis 90 sowie deren Kandidaturen auf grünen Listen, sollen Kommissionen klären.

Völlig offen ist, wie die vorzeitige Neuwahl des zerrütteten elfköpfigen Bundesvorstands ausgehen wird. Die Personaldecke der Partei ist dünn geworden. Für das quotierte Gremium wollen bislang lediglich drei Frauen antreten - darunter als Sprecherinnen die Radikalökologinnen Manon Tuckfeld und Andrea Schmidt. Die sich in der Vergangenheit im dreiköpfigen Sprecherinnengremium erbittert bekämpfenden Flügelvertreterinnen Verena Krieger und Ruth Hammerbacher kandidieren nicht wieder.

Den Linken sei durch die ständige Blockade der Realos jede politische Arbeit konsequent verwehrt worden, sagt Verena Krieger, während die Realos dies genau spiegelbildlich sehen. Lediglich Sprecher Ralf Fücks ist zum weitermachen bereit - freilich nicht in einer Konstellation mit Tuckfeld und Schmidt. Eigene Kandidatinnen aber haben Realos und Aufbruch nicht anzubieten; die in der Partei populäre Bundestagsabgeordnete Christa Nickels sieht keine Chance, zusätzlich zum Sprecherinnenamt ihr Bundestagsmandat bis zur Bundestagswahl behalten zu dürfen. Einige überlegen aber auch, den jetzigen Vorstand bis zu gesamt-grünen Wahlen weiter werkeln zu lassen.