Datenreisebilder und Kohlröschen

■ Neuer Bremer Videofilm / Fraktale Geometrie spektakulär und einleuchtend

Wie lang ist die britische Küste? Je nachdem. Gibt nur dumme Antworten, sehen wir. Es sei denn, man hätte eine Geometrie gerade für solch verkrumpelte, rauhe oder faserige Sachen. Hat man, heißt Fraktale Geometrie und taugt für alles, was noch nie ins Mathematikbuch kam, von wegen Unordnung, Chaos, Nicht-Linearität. Kurz: diese Geometrie ist gut für alles Wirkliche. Sie ist das mathematische Kopfwerkszeug der Chaostheorie.

Seit wenigen Tagen gibt es einen appetitlich zubereiteten Videofilm, mit den Augen zu verschmausen, und hinterher hat man Fragen über Fragen, oder anders gesagt: beunruhigend viel mitgekriegt von der Fraktalen Geometrie, welche seit ein paar Jahren der wissenschaftlichen Subversion und des Denksäulen-Umstürzelns dringend verdächtig ist.

Der einstündige Film besteht zur Hälfte aus Interviews mit Ed Lorenz, der, was unmittelbar einleuchtet, zugleich Meteorologe und ein Rädelsführer der Chaosforschung ist, und natürlich mit Benoit Mandelbrot, dem Dicken mit dem Schlummerlächeln, welcher viel Geld und Zeit für Wolkenbeobachtungsflüge und das Studium rieselnder Bächlein ausgegeben und die meisten der von seiner Disziplin ausgegangenen Anstöße selber erregt hat. Die andere halbe Stunde lang sehen wir geheimnisvolle Visualisierungen fraktaler Formeln, Simulationen verzwickter Pendelexperimente und Fahrten durch weltenferne Landschaften: dies alles hat das Bremer Uni-Labor für Computergrafik beigetragen, namentlich Cornelia Zahlten, Dietmar Saupe und Hartmut Jürgens.

Computer-Animationen sind darunter, die hätte man vor zwei Jahren noch nicht für möglich gehalten, wegen der ungeheueren Datenmengen, aus denen sie sich zusammensetzen. Da gibt es etwa einen großschweifigen Kippflug, unten breitet sich ein ornamental zerklüftetes Hochplateau: wir übersegeln eine Reliefdarstellung der Mandelbrot-Menge; in zwei Minuten ist die Information aus umgerechnet tausend dicken Büchern verflimmert.

Wir sehen auch, wo sie herkommt, die Mandelbrot-Menge. Ein Pendel schwingt, computersimuliert, über drei Magneten, losgelassen von zahllosen Punkten aus. Diese Punkte werden farbig markiert, je nach demjenigen von den drei Magnetfeldern, in dem sich das Pendel letztendlich verfängt. Die summarische Grafik dieser Entscheidungspunkte ergibt ein komplexes Muster sozusagen verrührter Farben, mit Strängen nahezu unendlich dünner Fäden. Dort sind die kritischen Umschlagspunkte: die winzigste Verrückung des Ausgangspunktes läßt das Pendel an ganz andrer Stelle stillestehen. Die Menge all dieser kritischen Punkte heißt Julia-Menge. Und die Mandelbrotmenge, in Gestalt des schon berühmten „Apfelmännchens“, ist das grafische „Inhaltsverzeichnis“ aller erdenklichen Julia -Mengen.Sonderbar, daß es überall dort auftaucht, wo man komplexe, dynamische Systeme erforscht. In seiner Korpulenz scheint es eine ziemlich universelle Konstante zu beherbergen.

Und dann kommt gleich Mandelbrot, der Dicke, ins Bild, zerbröckelt einen Blumenkohl und zeigt uns die Röschen, wie sie dem großen Ganzen ähneln, auf daß wir das Prinzip der Selbstähnlichkeit auch noch begreifen, welches die Geometrie des Chaos so einfach macht. scha

Der Videofilm ist produziert worden von „Spektrum der Wissenschaft“ und für knapp hundert Mark über den Buchhandel erhältlich.