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„Bundesratsminister nicht so unbedeutend, wie es scheint“

Jürgen Trittin (35), auf seiten der Öko-Partei Architekt der rot-grünen Koalition in Niedersachsen und designierter Bundesratsminister zum Ergebnis der Koalitionsverhandlungen, über verschluckte Kröten, Frühstücksdirektorenposten, linke Vergangenheit und die Fußstapfen von Joschka Fischer  ■ I N T E R V I E W

taz: Auch nach Ansicht von Jürgen Trittin haben die Grünen in den Koalitionsverhandlungen „einige Kröten schlucken müssen“. Welche Kröten hat denn die SPD geschluckt?

Jürgen Trittin: Die SPD hat den totalen Ausstieg aus der Hausmüllverbrennung in Niedersachsen akzeptieren müssen, was ihr intern gegenüber den SPD-Kommunalpolitikern erhebliche Probleme bereiten wird. Und die SPD hat ein sehr konsequentes Programm zum Ausstieg aus der Atomenergie schlucken müssen. An diesen Punkten zeigt sich in der Koalitionsvereinbarung sehr deutlich grünes Profil.

Selbst in der Vereinbarung zum Ausstieg finden sich doch weitgehend SPD-Positionen. Schon nach dem SPD-Wahlprogramm sollte etwa der Schacht Konrad für die Entsorgung von AKWs nicht geeignet sein.

Was in SPD-Parteiprogrammen steht hat in der Regel wenig mit dem zu tun, was später politisch gemacht wird. Die SPD hatte sich bundesweit auf ein atomares Endlager Schacht Konrad festgelegt und diese Position auch in den Verhandlungen vertreten. Uns hat dann natürlich geholfen, daß die SPD vor Ort ebenfalls gegen dieses Endlager ist.

Haben die Grünen denn irgendwo mehr herausverhandelt, als die SPD selbst schon in ihren Programmen versprochen hatte?

Das denke ich schon. Einer unserer Pluspunkte ist die Vereinbarung über den Hafenausbau. Wir wollten den Hafenneubau bei Cuxhaven, den Cuxport, nicht und haben uns schon fast wider Erwarten durchgesetzt. Dank des Engagements von Thea Dückert gibt es nun eine Lösung für die dortige Hafenmisere ohne neue Umweltbelastungen. Der alte Amerikahafen wird erneuert.

Ansonsten haben die Grünen in diesen Verhandlungen nur verhindert, daß die SPD ihre eigenen Programme vergißt und die Wähler betrügt.

Es ist bei rot-grünen Verhandlungen nichts Besonderes, daß die Grünen in bestimmten Punkten für die Durchsetzung der sozialdemokratischen Programmatik sorgen. Daß dies eine Aufgabe von rot-grünen Bündnissen ist, habe ich schon vor ein paar Jahren in der taz gesagt. Aber darin erschöpft sich die Vereinbarung nicht.

Vor ein paar Jahren hat Jürgen Trittin nicht nur in taz -Inteviews, sondern auch auf grünen Landesversammlungen noch vehement gegen eine direkte Regierungsbeteiligung und statt dessen für „Tolerierung“ gekämpft. Jetzt wollen Sie selbst Minister werden.

Damit habe ich keine Probleme. Bereits vor eineinhalb Jahren habe ich meine Position einer Politik der Tolerierung revidiert. Eine Tolerierung ist im deutschen Politiksystem mit einer sehr deutschen Partei wie den Grünen nicht zu machen.

Tolerierung wollte Jürgen Trittin damals, um bestimmte grüne Positionen wie etwa „Auflösung des Verfassungsschutzes“ durch eine Regierungsbeteiligung nicht aufgeben zu müssen.

Das ist auch genau eingetreten, daß wir den Verfassungsschutz nicht auflösen konnten. Unser Ergebnis in diesem Bereich ist der rot-grünen Einigung in Berlin vergleichbar: bessere Kontrolle, ein Abbau des Schnüffelpersonals. Dies wird Fehlentwicklungen beim Verfassungsschutz nicht sicher auschließen können. Es wird weiterhin ein Amt geben, das wir für überflüssig halten. Ob nun Koalition oder Tolerierung: was das reine Sachprogramm angeht, kommt in der Regel das gleiche heraus. Aber es gibt in einer Koalition bessere Möglichkeiten, den Vollzug einer rot-grünen Vereinbarung dann auch durchzusetzen.

Sie haben mit dem Frauen- und dem Bundesratsministerium nun aber zwei Ressorts mit wenig nachgeordneten Behörden bekommen, zwei Ressorts die an der Verwaltung des Landes kaum beteiligt sind. Ist das ein Mittelding zwischen Tolerierung Gerhard Schröders und einer richtigen Regierungsbeteiligung?

Die jetzige Personallösung befriedigt uns in keiner Weise. Wir haben als Ausgleich für einen Verzicht auf das Umweltressort die Bildung eines neuen Ministeriums unter grüner Führung verlangt, das die Bereiche Landesplanung, Raumordnung, Städtebau und Verkehr zusammenfassen sollte. Diesen Vorschlag hat die SPD strikt abgelehnt.

Da wußte die SPD doch schon, daß der Sprecher der grünen Verhandlungskommission, Jürgen Trittin, ganz gern Bundesratsminister werden wollte.

Ich wollte gar nicht gern Bundesratsminister werden. Vor unser Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt bin ich sogar für das Amt des Umweltministers vorgeschlagen worden. Im übrigen ist es uns in den Verhandlungen am Donnerstag gelungen, in der neuen Regierung auch für den Vollzug der Sachaussagen wichtige Positionen zu besetzen, wie die des Staatssekretärs im Umweltministerium. Dies wird eine zentrale Position für die Verwirklichung des Atomausstieg und eines Konzeptes der Müllvermeidung sein. Darüberhinaus werden wir eine Staatssekretärin für die Schulpolitik, also im Kultusministerium haben. Außerdem sollte man das Frauenministerium nicht so herunterdiskutieren. Dieses Querschnittsministerium wird eine Reihe von orginären Zuständigkeiten, etwa Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt, und auch einen entsprechenden Etat bekommen.

Das Frauenministerium hatten die Grünen auch verlangt, aber warum mußte es nun gerade das Bundesratsministerium sein. Liebt Jürgen Trittin so sehr das Repräsentieren und die Empfänge in Bonn?

Nein, liebt er überhaupt nicht. Die Empfänge Niedersachsen in der Bonner Landesvertretung werden sich nun sicher in ihrem Charakter einschneidend verändern. Das Bundesratsministerium lieben wir sicher nicht, über dieses Ressort haben wir schon ganz häßliche Sachen gesagt.

Das ist der Posten des Frühstücksministers. Und den werden Sie nun bekleiden.

Das Image hängt doch mit der Amtsführung des bisherigen Bundesratsministers zusammen. Bedeutung hat dieses Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten, weil in den vergangenen Jahren immer mehr Kompetenzen des Landes auf die Bundes- und die Europaebene verlagert worden sind. Hier verschiebt sich auch die Verfügung über finanzielle Mittel. Das Bundesratsministerium ist nicht so unbedeutend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Liegt nicht auch Jürgen Trittin ganz persönlich die Rolle des einzigen grünen Ministers mit Sitz in Bonn - sozusagen als eine Art Bundessprecher der Grünen in Regierungsverantwortung?

Unterstellen Sie mir nicht, daß ich herrschsüchtig wäre. Das bin ich nicht.

Will Jürgen Trittin etwa nicht in die Fußstapfen von Joschka Fischer treten, der in seinen Zeiten als hessischer Umweltminister ja der Repräsentant grüner Regierungspolitik war?

Wir haben in Bonn den Bundesvorstand und den Vorstand der Bundestagsfraktion als Ansprechpartner. Wenn allerdings das, was die Grünen auf Bundesebene zu sagen haben, sich durch das grüne Bundesratsministerium besser transportieren läßt, wäre ich der Letzte, der diese Chance nicht nutzen würde. Das ist allerdings nicht originäre Aufgabe dieses Ministeriums. Im übrigen mag Joschka Fischer seine Fußstapfen selbst weiter beschreiten. Er ist ja noch kein Politrentner.

Waltraut Schoppe und Jürgen Trittin, der Jahre lang der Repräsentant der Linken war, als künftige Minister. Ist das der parteiinterne Links-rechts-Proporz?

Daß Waltraut und ich von unterschiedlichen Strömungen der Grünen kommen, ist unbestritten. Die niedersächsischen Grünen hatten schon immer das Plus, daß sie unterschiedliche Strömungen zu einer gemeinsamen Politik zu bündeln vermochten.

Wo sind denn die Unterschiede zwischen links und rechts bei den Grünen geblieben, wenn jetzt auch die Linken oder ehemaligen Linken Minister werden?

Warum soll ein Linker nicht Minister werden? Die Unterschiede zwischen rechts und links werden sich mit Sicherheit an der Behandlung konkreter politischer Fragen zeigen. Diese Unterschiede sind allerdings nicht so groß, wie man etwa nach der Diskussion auf dem letzten Bundesparteitag über die „Ökologisierung“ glauben könnte. Die Unterschiede werden in solchen Diskussionen, die sich ohne Bezug zur politischen Realität abspielen, überzeichnet.

Der Landesvorstand hat die ausgehandelten Ressortverteilungen als „Diktat der SPD“ bezeichnet. Sieht das der Sprecher der grünen Verhandlungskommission anders?

Die SPD hat versucht, uns etwas zu diktieren. Dies ist ihr nicht hundertprozentig gelungen.

Die grüne Basis hat von der Verhandlungskommission in den letzten Tagen zunehmend Härte verlangt. Wird die grüne Basis dieses Ergebnis auf der Landesversammlung am 17. Juni akzeptieren?

Ich sehe der Landesversammlung sehr optimistisch entgegen, weil wir ein gutes Sachprogramm ausgehandelt haben. Dafür haben wir allerdings dann in den Personalfragen nicht das Ergebnis erreichen können, was wir angestrebt haben.

Interview: Jürgen Voges

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