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Nationalismus und Haß auf die Roma

Nikolaus Tomin ist Spurensucher. Er verbindet den Beruf des Kriminalsoziologen mit der Passion des Ökologen. Kürzlich hatte er Gelegenheit, mit einigen der Skins zu sprechen, die wegen Gewalttätigkeiten gegenüber den Roma in Untersuchungshaft sitzen. Für ihn ist klar, daß die Bandenkriminalität der Skins politisch motiviert ist, daß sie sich ferner mit den wachsenden nationalen Spannungen zwischen Slowaken und Tschechen beziehungsweise Slowaken und Ungarn im Vorfeld der Wahlen aufgeschaukelt hat.

Man schätzt die Zahl der Skins auf über 2.000 in Böhmen, oft genug sind es Schüler und Azubis ohne Abschluß, aber unter ihnen finden sich auch Intellektuelle mit einem Dr. Franz an der Spitze, der die Zeitschrift 'Der Tscheche‘ herausgibt. Die von Tomin befragten Skins folgen der Linie „Erst die Tschechen“ und propagieren „White Power“. Ausländer sollen nur als Touristen erwünscht sein, die Ultras unter den Skins fordern - möglichst weit weg von der Tschechoslowakei - ein Reservat für die 350.000 bis 500.000 Zigeuner, die in Böhmen und der Slowakei leben.

Tomin findet nicht die Existenz der Skins bedrückend, sondern die zunehmende Sympathie, die sie mit ihren Angriffen auf die Roma in der Öffentlichkeit genießen. Er zählt die Probleme auf: eine sechsfach höhere Kriminalitätsrate bei den Roma, ihr Kinderreichtum, von dem die Tschechen sagen, sie müßten ihn finanzieren, ihr unstetes Leben und ihre unregelmäßige Arbeit. Aber er vergißt nicht zu erwähnen, daß die Roma bis jetzt systematisch als Minderheit mißachtet und sozial wie kulturell diskriminiert waren.

Selbst tschechische Intellektuelle sind mit einseitigen Schuldzuweisungen oft schnell und ungeniert zur Hand, wenn es um die Roma geht. Sogar das Angebot tschechischer Behörden an die Roma-Frauen, sich gegen 2.000 Kronen Belohnung sterilisieren zu lassen, heißen viele gut. Selbst die um die Verteidigung der Roma verdiente Zeitschrift 'Respekt‘ unterschätzt das faschistische Potential, das sich hier zusammenbraut, wenn sie eine ideologische Orientierung der Skins verneint oder sich mit der These beruhigt, in Böhmen habe der Faschismus keine historischen Wurzeln.

Das Bürgerforum, die Regierung und Präsident Havel haben die Gewalttätigkeiten der Skins und der mit ihnen verbündeten Nazi-Punks verurteilt. Sie haben es aber unterlassen, sich unerschrocken dem schweigenden Fremdenhaß entgegenzustellen - offenbar weil die Wahlen vor der Tür standen. Mit ihrem Beschluß, bis 1995 alle vietnamesischen Kontraktarbeiter nach Hause zu schicken, machte die Regierung sogar eine Konzession an die Massenstimmung. Die „Roma“ sind aber nicht mehr nur Objekt, sei es des Hasses oder der Fürsorge. Seit der Novemberrevolution haben sie begonnen, sich zu organisieren - zum Beispiel in der Roma -Initiative ROI, die im Rahmen des Bürgerforums arbeitet und auch mit eigenen Kandidaten für die Wahlen auftritt. Nikolaus Tomin sieht in dieser Beteiligung an den Wahlen ein wachsendes Selbstbewußtsein. Nur wenn die Roma Vertrauen in eine eigene politische Vertretung gewinnen, sagt er, wenn sie es lernen, als Minderheit von gleich zu gleich aufzutreten, können sie die Marginalisierung und Selbstmarginalisierung überwinden.

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