Die Früchte der Paranoia

■ Zahlreiche Verletzte, 14 Festnahmen / Randalierende Deutsche und enthemmte Carabinieri bei der Fußball-Weltmeisterschaft / Fans und Polizei erfüllen alle Erwartungen

Mailand (taz) - „Schlagt sie tot, schlagt sie tot“, feuerten italienische Tifosi in der Art ihrer alt-römischen Vorfahren die Polizei an, als diese auf dem Mailänder Domplatz trunkene deutsche Fußballanhänger malträtierte. Die in Italien im Rahmen der Fußball-WM grassierende Hooligan -Paranoia trägt ihre ersten fühlbaren Früchte. Nachdem vor wenigen Tagen ein belgischer Lastwagenfahrer in einer Autobahnraststätte zusammengeschlagen wurde, weil man ihn für einen englischen Fan hielt, und in Sardinien kein britischer Jugendlicher laut husten kann, ohne daß ein Polizist mit gezücktem Knüppel hinter ihm steht, erwischte es am Wochenende die deutschen Fußballfans am Gardasee und in Mailand.

Seit Wochen wird mit Inbrunst in den buntesten Farben das Gespenst drohender Gewalttätigkeit an die Wand gemalt, und beide Seiten, Polizei und Fans, fühlen sich offensichtlich verpflichtet, der Öffentlichkeit nun auch tatsächlich das erwartete Schauspiel zu bieten. Sobald am Wochenende irgendwo angetrunkene und singende deutsche Fußballtouristen auftauchten - zugegeben: wahrlich kein Hochgenuß für Auge und Ohr - schrillten in allen Köpfen die Alarmsirenen. Die Fans stießen auf eisige Ablehnung, Bars und Restaurants verwehrten ihnen den Zutritt, die Ausgestoßenen wurden zunehmend sauer, aggressiv und destruktiv, doch bei den ersten Akten des Vandalismus stand sofort die Polizei auf der Matte und fiel völlig enthemmt - erfüllt von ihrer historischen Mission, der Ausrottung des Hooliganismus über die Fußballfreunde her, um sie zu verprügeln, festzunehmen und auf der Stelle nach Österreich abzuschieben, mit der Auflage, Italien in den nächsten drei Jahren nicht wieder zu betreten.

In Mailand gibt es, um nicht noch mehr der ungeliebten Gäste anzulocken, an den Spieltagen keine Veranstaltungen speziell für Fans, der deutsche Informationsstand am Dom versucht stattdessen, sie mit italienischen (!) Theaterstücken, Kinofilmen und Sprachkursen abzuspeisen, während ein Infoblatt der deutschen Fanprojekte den guten und berechtigten Rat erteilt, sich nicht mit den prügel- und abschiebefreudigen Carabinieri anzulegen. So lungerten die Besucher des Spieles BRD-Jugoslawien am Sonntag schon mittags gelangweilt an der Piazza del Duomo herum - trotz des albernen „khomeinistischen“ (La Reppublica) Alkoholverbots an den Spieltagen bestens versorgt mit Bier, das sie sich am Vortag oder bei der Anreise be sorgt hatten - und vertrieben sich die Zeit mit verbalen und gesang- lichen Scharmützeln mit jugo slawischen und italienischen Grüppchen.

Gegen drei Uhr wurde ein jugoslawischer Bus von einigen der etwa 300 bis 500 anwesenden Deutschen mit Wurfgeschossen bombardiert, jugoslawische Fans wurden über den Platz gejagt, und als dann auch noch Schaufensterscheiben und Vitrinen, vorzugsweise von Geschäften mit Alkoholika in den Auslagen, zu Bruch gingen, rückte die Polizei äußerst brutal mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Deutschen vor, die zum Teil ihrerseits mit Stein- und Flaschenwürfen antworteten, und hetzte sie, handgreiflich unterstützt von Italienern und einigen Jugoslawen, durch die Innenstadt. Die Bilanz: 7 Personen im Krankenhaus, zahlreiche Verletzte, auch einige Polizisten, 14 Jugendliche festgnommen und zu 20 Tagen Haft verurteilt, 43 Personen aus Italien ausgewiesen.

Auch der deutsche Fan-Betreuer Peter Koch macht den italienischen Behörden schwere Vorwürfe, weil sie nichts für die Betreuung der Jugendlichen getan hätten. Und der Deutsche Fußball-Bund erwägt, die Jugendlichen mit Apellen daran zu erinnern, den „guten Ruf der deutschen Mannschaft“ in der Öffenlichkeit nicht kaputtzumachen.

Matti