Bulgariens Kommunisten gewinnen die Wahl

■ Nur 36 Prozent gaben bei den ersten freien Wahlen seit 44 Jahren ihre Stimme dem Oppositionsbündnis

Bei den Wahlen vom Sonntag erhielten die Kommunisten, die sich nach der Wende im vergangenen November in „Bulgarische Sozialistische Partei“ umbenannt haben, knapp 48 Prozent der Stimmen. Im künftigen Parlament, das eine neue Verfassung ausarbeiten soll, werden sie über eine absolute Mehrheit der Sitze verfügen.

Die Bulgaren sind aus der Reihe getanzt. Während bei den Kommunalwahlen in Polen die Kommunisten zur Nullkommaetwas -Partei absanken, in der DDR und der Tschechoslowakei die jahrzehntelang herrschenden Parteien gerade noch Achtungserfolge zwischen 12 und 16 Prozent erzielten, gewannen Bulgariens Kommunisten souverän die ersten freien Wahlen nach 44 Jahren - und dies, ohne daß sich die herrschende Partei, wie etwa in Ungarn, zu einer sozialdemokratischen transformiert hätte. Sie hat sich zwar vom spätstalinistischen Regime Schiwkows verabschiedet und sich als Konzession an den Zeitgeist in „Bulgarische Sozialistische Partei“ umbenannt (BSP), doch ihre Strukturen sind weitgehend intakt geblieben. Die politische Öffnung, die die Partei im Spätherbst des vergangenen Jahres einleitete und die sie - im Gegensatz zu den Kommunisten in den übrigen Ländern des ehemaligen Ostblocks - in all ihren Phasen kontrollierte, hat mit den Wahlen vom Wochenende einen ersten Abschluß gefunden.

Noch provisorischen Angaben, die aber mit Sicherheit nicht mehr wesentlich korrigiert werden müssen, haben die Exkommunisten der von Regierungschef Andreij Lukanow angeführten BSP 47,9 Prozent der Stimmen erhalten und damit Anrecht auf 100 der 200 Parlamentssitze, die proportional zu der Stärke der Parteien aufgeteilt werden. Weitere 200 Sitze werden nach dem Mehrheitsprinzip vergeben, das angesichts der Aufsplitterung der Opposition die BSP begünstigt, die so ihre Mehrheit noch weiter ausbauen können wird. Allerdings haben nur wenige Kandidaten für diese Parlamentshälfte auf Anhieb eine absolute Mehrheit der Stimmen erreicht, sodaß über fast all diese Sitze erst in einem zweiten Urnengang am nächsten Sonntag entschieden wird.

Die oppositionelle „Union der Demokratischen Kräfte“, in der unter dem Vorsitz des Philosophen Dschelio Dschelew 16 Parteien zusammengeschlossen sind, wurde mit 35,6 Prozent deutlich auf den zweiten Platz verwiesen. Als drittstärkste Partei profilierte sich mit 8,1 Prozent die Bulgarische Bauernpartei, die das kommunistische Regime jahrzehntelang als Blockflöte begleitet hatte, unter ihrem neuen Vorsitzenden Wiktor Walkow aber nun einen eigenständigen Kurs eingeschlagen hat. Den vierten Platz gewann die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“, ein Zusammenschluß von bulgarischen Moslems (Pomaken) und Angehörigen der (moslemischen) türkischen Minderheit. Sie erreichte 5,9 Prozent. Etwa zwei Dutzend kleinere Gruppierungen vom „Bund der Parteilosen“ bis zur „Invalidenunion“ scheiterten an der Sperrklausel von vier Prozent.

Nach ihrem Wahlsieg erneuerten die regierenden Kommunisten -Sozialisten ihr früheres Angebot an die Opposition, eine große Koalition zu bilden, um die schwere wirtschaftliche und politische Krise im Land zu meistern: Die Inflationsrate liegt zur Zeit bei etwa 20 Prozent und wird am 1.Juli nach Freigabe der Preise noch hochschnellen; Grundnahrungsmittel wie Eier, Milch und Zucker sind heute schon mangelware; die Auslandsverschuldung beträgt knapp elf Milliarden Dollar; die Zahl der Arbeitslosen wird mit dem weiteren Übergang zur Marktwirtschaft von heute 35.000 nach Schätzung von Wirtschaftsexperten zum Jahresende auf 200.000 ansteigen. Dschelew, dessen Oppositionsbündnis eine aggressiv antikommunistische Kampagne geführt hatte, in deren Mittelpunkt zuletzt Enthüllungen über Arbeitslager und Massengräber von Opfern des kommunistischen Terrors standen, verweigerte zunächst jeden Kommentar zum Wahlsieg der Regierungspartei und zum ihrem Koalitionsangebot. Wie die BSP will auch die Union der Demokratischen Kräfte den Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft. Doch während die Regierungspartei ein schrittweises Vorgehen befürwortet, fordert die Opposition einen radikalen und sofortigen Übergang.

Anhänger der Opposition demonstrierten in Sofia die ganze Nacht zum Montag hindurch gegen einen angeblichen Wahlbetrug der Kommunisten. Zwar ist es beim Urnengang zu einigen Unregelmäßigkeiten gekommen, die auch von der zentralen Wahlkommission bestätigt wurden. Doch haben diese die Wahlen kaum beeinträchtigt und können auf keinen Fall den Wahlsieg der BSP erklären. Auf dem Land haben die geläuterten Kommunisten sicher auch von der noch weit verbreiteten Angst vor Bespitzelung und Repression profitiert. Immerhin ist Schiwkow, der die Politik des Landes 35 Jahre lang diktierte, erst im vergangenen November gestürzt worden. Andererseits verfügt dessen Nachfolger Andreij Lukanow, der die Wende eingeleitet hat, durchaus über eine gewisse Popularität. Und schließlich nicht zu vergessen: Anders als die DDR und die Tschechoslowakei wurde Bulgarien, ein traditionell sowjetfreundliches Land, nie von sowjetischen Truppen besetzt.

Thomas Schmid