Auf weichem Boden in goldige Zeiten

■ Karrieren in der DDR: Vom volkseigenen Außenhändler und engagierten Mitglied der Betriebskampfgruppe zum erfolgreichen Jungunternehmer / Mit einem Büro-Container tourt DDR-Jungunternehmer Bernd Vofrei durch Neubauviertel und verkauft Auslegware

Ost-Berlin. Wenn in der untergehenden Republik über Karrieren gesprochen und geschrieben wird, so mit trauriger Leidenschaft über solche, die abbrechen, die mit atemberaubender Geschwindigkeit ins Aus führen oder von jenen Karrieren, die „Marktwirtschaftler“ aus dem Westen auf dem Rücken der mit leeren Taschen in die Demokratie entlassenen Ostler machen. Doch ungeachtet aller Klagegesänge etabliert sich im kapitalistischen Neuland DDR ein eigenes Unternehmertum. Seine Vertreter rekrutieren sich nicht nur aus der schon in planwirtschaftlichen Zeiten erfolgreichen Zunft der „Gewerbetreibenden“ aus Gastronomie und Handel, sondern auch aus dem Lager der Deserteure, die vor kurzem noch an der volkseigenen Front für das Wohl der Heimat kämpften.

Einer von ihnen ist Bernd Vofrei. Goldrahmenbrille, italienische Schuhe, weiße Socken und ein nagelneuer Maßanzug, für Bernd Vofrei hat das Outfit schon immer eine entscheidende Rolle gespielt. Bis zum April 1989 arbeitete der dynamische Mittvierziger in dem DDR -Außenhandelsunternehmen Textilcommerz. Als Abteilungsleiter war er in dem Monopolbetrieb für den Verkauf von DDR -Auslegware und Teppichböden in das „nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ (NSW) verantwortlich.

Selbstverständlich erfüllte er wie viele seiner Kollegen ohne ernsthaften Widerstand die dafür erforderlichen Voraussetzungen. Schon früh in die Partei eingetreten, lag der Außenhandelskaufmann an fast jedem zweiten freien Wochenende auf dem Übungsacker seiner Kampfgruppeneinheit. Kein geringer Preis für das Privileg, vier- bis fünfmal im Jahr in den Westen reisen und DDR-Produkte anpreisen zu dürfen.

Doch hier, fern der realsozialistischen Heimat, unterschied ihn dann kaum noch etwas von seinen kapitalistischen Partnern. Während viele seiner Kollegen ihre Devisen sparten und sich von den geringen Reisespesen via Intershop die Wohnungseinrichtung modernisierten, vergaß Bernd Vofrei nicht, daß neben der Leistung das persönliche Auftreten, das modische Hemd den Erfolg sichern.

Doch zu enge Kontakte mit westlichen Geschäftspartnern oder gar einen DDR-Identitätsverlust registrierte der Apparat sofort. Ein strenges Reglement und ständige Schulungen schränkten den Spielraum der „Reisekader“ erheblich ein: nach jeder Reise ein ausführlicher Bericht über alle Kontakte, über den Verlauf und den Inhalt der Geschäftsgespräche, über die politische Haltung der westlichen Partner. Es war kein Geheimnis, daß diese Berichte dem Ministerium für Staatssicherheit übergeben wurden und daß die Stasi allein über den weiteren Einsatz der Berichterstatter befand.

Im April 1989 erwischte es den inzwischen zu selbständigen Außenhändler. Die Stasi fing ihn vor seiner Haustür ab. Dem langen Verhör folgte die fristlose Entlassung. Allein der Nachweis, ein Werbegeschenk, ob nun Kugelschreiber oder Feuerzeug, nach einer Fahrt nicht abgeliefert zu haben, rechtfertigte ein Reiseverbot. Erst recht der Vorwurf, zu enge Beziehungen mit Partnern im Ausland zu pflegen. Nach drei Wochen Arbeitslosigkeit fand Bernd Vofrei im Kaufhaus am Berliner Ostbahnhof eine Anstellung als Vize -Verkaufsstellenleiter in der Teppichabteilung.

Schließlich der Herbst 1989 und der Fall der Berliner Mauer. Der inzwischen zum Verkaufsabteilungsleiter Gardinen avancierte Bernd Vofrei nutzt die unerwartet schnell wiedergewonnene Reisefreiheit und fährt im Januar 1990 zur weltgrößten Heimtextilien-Messe nach Hannover. Dort trifft er seine ehemaligen Geschäftspartner aus der Bundesrepublik, die sein Verkaufstalent in zum Teil zwölfjähriger Zusammenarbeit schätzen lernten. Für sie war er genau der richtige Mann, um den sich öffnenden DDR-Markt zu erobern.

Innerhalb kürzester Zeit erarbeitete Bernd Vofrei gemeinsam mit einem der führenden Westberliner Grossisten in der Teppichbranche eine Verkaufskonzeption. Zusammen wollten sie vom unzureichenden Angebot in den DDR-Geschäften und vom West-Ost-Preisgefälle profitieren.

Bernd Vofrei gründete „COPA-Bodenbeläge“ eine Groß- und Einzelhandelsfirma mit Sitz in Berlin-Hellersdorf. Da keine Gewerberäume zur Verfügung standen, ließ sich der DDR -Jungunternehmer aus West-Berlin einen Büro-Container in den Neubau-Stadtbezirk fahren. Hier, wo täglich neue Mieter ihre Wohnungen beziehen und die Infrastruktur jeden Einkauf zum zeitraubenden Abenteuer werden läßt, sah man die größte Chance für den Absatz bundesdeutschen Bodenbelags. Am 24. März begann der Verkauf auf dem Hellersdorfer Markt. Innerhalb der ersten drei Stunden gingen Teppiche und Auslegware im Wert von 73.000 Ostmark über den Tisch. Nach drei Tagen belief sich der Gesamtumsatz auf 130.000 Ostmark.

Erst nachdem die Modalitäten zur Währungsunion feststanden, ließ der Andrang nach, doch gekauft wird noch immer. Und das, obwohl die DDR-Teppichfirmen ihre über die staatlichen Verkaufsstellen vertriebene Ware vor Wochen um bis zu 50 Prozent im Preis reduzierten. Vofrei, der inzwischen eine Verkäuferin und zwei Kraftfahrer beschäftigt, leugnet zwar nicht, daß sich durch diese Konkurrenz seine Gewinne minimieren, hält aber seinen Service und sein breites Angebot für attraktiver.

Sein Verkauf läuft auf Musterbasis. Die Kunden können unter diversen Musterstücken wählen, geben die Maße ihrer zu belegenden Wohnfläche an und bekommen spätestens nach einer Woche ihre Ware zugeschnitten und in Folie verpackt geliefert. Ein eigenes Warenlager besitzt „COPA“ nicht . Die Bestellung eines jeden Kunden geht zum Westberliner Partner und wird dort bearbeitet. Vofreis Kraftfahrer holen die Ware nur ab und liefern sie an die Kunden in Ost-Berlin.

Die Preise schwanken und passen sich der jeweiligen Marktsituation an. Ausgangsbasis sind die relativ niedrigen Summen, die der Westberliner Grossist der Ostberliner Firma berechnet, selbst beim Geschäftskurs von 1:3 fährt der DDR -Unternehmer Gewinn ein. Für ihn, den Ex-Genossen, ist der 2. Juli kein Angsttermin. Bernd Vofrei baut auf seine Erfahrungen und Kontakte, die die westlichen Neueinsteiger zu honorieren wissen.

Andre Meier