piwik no script img

Staatsvertrag: Wenn alles gefrühstückt ist...

Was haben die „Nachverhandlungen“ zum Staatsvertrag erbracht? / Von Kurzarbeitergeld bis zur Importabgabe: eine Übersicht der vereinbarten Regelungen / Elfprozentige Importabgabe für BRD-Produkte in der DDR ist stark umstritten  ■  Von Dietmar Bartz

Berlin (taz) - Einigkeit bestand zwischen der Regierung in Bonn und der SPD-Opposition nicht einmal darüber, ob die „Nachverhandlungen“ zum Staatsvertrag überhaupt ihren Namen verdient haben. FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff hielt sie für ein „Ritual“, während SPD-Chef Hans-Jochen Vogel „mehr als ein Frühstücksgespräch“ erlebt haben will. Unabhängig davon, wer der geistige Urheber einzelner Maßnahmen ist Einvernehmen ist in vier Punkten erzielt worden.

Das Kurzarbeitergeld wird künftig in großem Umfang zur Finanzierung von Umschulungen eingesetzt; die sogenannte „Importabgabe“ zum Schutz der DDR-Wirtschaft bleibt; hochverschuldete DDR-Betriebe werden nicht notwendig pleite gehen, und die Beschlagnahme von Vermögen der Altparteien ist abgesegnet. Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die DDR-Wirtschaft?

Bei der Importabgabe - selbst über die Richtigkeit dieses Begriffes herrscht Unklarheit - hat die SPD zurückstecken müssen. Ursprünglich hatte sie eine noch höhere „Einfuhrsteuer“ für BRD-Produkte in die DDR gefordert. Es bleibt nun bei einem Zuschlag von elf Prozent des Warenwertes auf eine Reihe von BRD-Produkten; die vom DDR-Wirtschaftsministerium veröffentlichte Liste reicht von Textilien bis zu Fahrrädern. Der Zuschlag wird beim Einzelhandelsverkauf erhoben.

Bonner Wirtschaftsbeamte halten von dieser Schutzmaßnahme nur wenig, weil DDR-BürgerInnen, wenn sie diesen Zuschlag umgehen wollen, die Waren auch im Westen kaufen können. Weil der Zuschlag nicht an der Grenze erhoben wird, ist die Einfuhr des in West-Berlin, Hannover oder Hof frisch erworbenen Sommermantels in die DDR legal. Hätten sich die Sozialdemokraten mit ihrer Forderungen nach einer Erhöhung durchsetzen können, wären die grenzüberschreitenden Einkaufsfahrten vermutlich noch attraktiver geworden. Wie die noch nicht existenten Finanzämter in der DDR die Erhebung der Importabgabe kontrollieren wollen, ist noch weitgehend unklar.

Bonn hatte der Importabgabe, die noch nicht von der Volkskammer beschlossen ist, zugestimmt, um eine weitgehende Einfuhrkontingentierung von Waren aus der BRD in die DDR zu verhindern; sie gilt weiterhin nur für ausgesuchte Agrarerzeugnisse. Unstrittig, aber damit nicht zu verwechseln, ist die elfprozentige Verbilligung von DDR -Produkten beim Verkauf in der BRD.

Über das Kurzarbeitergeld ist schon in der letzten Woche zwischen den beiden Regierungen Einverständnis erzielt worden. Ihm kommt eine große arbeitsmarktpolitische Bedeutung zu, weil Beschäftigte, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen entlassen werden müssten, für einen langen Zeitraum als Kurzarbeiter weiterbeschäftigt werden können.

Faktisch läuft dies zwar auch auf eine Schönung der Arbeitslosigkeitsstatistik heraus, vor allem aber handelt es sich um eine Lohnsubventionierung großen Ausmaßes. Im Extremfall kann gar die komplette Belegschaft eines Werkes in den Genuß des Kurzarbeitsgeldes kommen und in dieser Zeit weiterproduzieren. Hier sind Erhaltungssubventionen versteckt, die zwar den DDR-Beschäftigten zu gönnen sind, aber in krassem Widerspruch zu den marktwirtschaftlichen Bekenntnissen der Bundesregierung stehen.

Auch im dritten Verhandlungspunkt, der wirtschaftspolitisch bedeutsam ist, hat die SPD zurückstecken müssen. Sie hatte eine volle Entschuldung der DDR-Betriebe verlangt, weil diese in der Vergangenheit auf die Kredite kaum Einfluß hatten nehmen können. Selbst wenn die Schulden 1:2 umgestellt werden und ihre Eröffnungsbilanzen durch allerlei mögliche Bewertungstricks keine roten Zahlen aufweisen, würden die Tilgung der Kredite und vor allem die höheren West-Zinsen vielen sofort das Genick brechen.

Herausgekommen ist nun eine nebulöse Einzelfallprüfung bei der Schuldenregulierung. Wer sie prüft und anhand welcher Regeln, ist ebenso unklar wie die Höhe des Topfes, der für die Ablösung solcher Schulden bei der DDR-Staats beziehungsweise der Kreditbank eingerichtet werden müßte.

Hinzu kommt, daß noch völlig unklar ist, wo die Schulden der DDR-Betriebe gegenüber der Kreditbank schließlich landen werden. Die westdeutschen Großbanken, die mit der DDR -Kreditbank gerne Joint-ventures einrichten wollen, haben auf eine generelle Übernahme dankend verzichtet. Auffällig ist allerdings, daß die Frankfurter Banker nicht grundsätzlich abgelehnt haben; die Einzelfallprüfung, welche Schulden nun lukrativ - weil eintreibbar - sind, pickt aber nur die Rosinen aus dem Kuchen.

Die Gesamtschuldensumme der Betriebe wird inzwischen mit rund 240 Milliarden DDR-Mark gehandelt, von denen ein Drittel als uneinbringlich und ein weiteres als gefährdet gilt. Nach der 2:1-Umstellung der Schulden müßten also Verbindlichkeiten über rund 40 Milliarden D-Mark abgeklopft werden, sollte eine „Einzelfallprüfung“ ernsthaft betrieben werden.

diba

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen