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Demonstration der Schwäche

■ Rumäniens Staatspräsident Iliescu verliert die Nerven

Fast 90 Prozent der Stimmen hatte er bekommen und seine „Front der Nationalen Rettung“ fast die Zweidrittelmehrheit. Ein wahrhaft überwältigendes Ergebnis in einem Land, das wie kein anderes im ehemaligen Ostblock unter der stalinistischen Diktatur gelitten hatte. Ein Ergebnis auch, das der „Front“ alle Möglichkeiten gab, die versprochenen Reformen in die Tat umzusetzen. Doch mit der Polizeiaktion gegen die DemonstrantInnen vor der Universität von Bukarest hat der neue Führer der Rumänen Muskeln gezeigt. Denn trotz des glanzvollen Wahlsiegs stehen nach der brutalen Polizeiaktion und der Mobilisierung der „Massen“, die mit Knüppeln auf die DemonstrantInnen einschlugen, Iliescu und die Seinen nun in einem Licht, in das sie partout nicht geraten wollten.

Die Demonstranten jedoch, die mit ihrer Aktion der Errichtung einer „Kommunismusfreien Zone“ seit dem 24.April dafür sorgten, daß in der ganzen Welt das Mißtrauen gegenüber der „Front“ bestehen blieb, haben trotz der Opfer, die jetzt zu beklagen sind, politisch einen Erfolg erzielt. Denn indem sie nicht müde wurden, auch angesichts der Wahlniederlage der demokratischen Parteien die „Front“ als „undemokratisch“ und als „Nachfolgerin des Regimes“ hinzustellen, wurde ihre Demonstration tatsächlich zur Nagelprobe für die neue Regierung. Und die hat die Probe nicht bestanden. Für Hunderttausende ist nun erwiesen, daß es zur zweiten Revolution in Rumänien kommen muß.

Vielleicht waren die täglich wiederkehrenden Demonstrationen tatsächlich eine Hemmung für die Front, die neue Etappe in der rumänischen Geschichte auch für das Ausland plausibel als demokratische Etappe darzustellen. Denn nichts ist für die Annäherung an Europa schädlicher als die Identifizierung der Front mit dem alten Regime. Auch die neue Regierung ist auf Hilfe von außen angewiesen. Einige Zeit sah es sogar danach aus, als sei dieser Vorwurf der rumänischen Opposition gegenüber der Front nur aus einem Wahlkampfkalkül konkurrierender Parteien entsprungen. Doch was hätte es denn Iliescu wirklich gekostet, öffentlich mit den Demonstranten zu diskutieren und den Weg zur Demokratie glaubwürdig aufzuzeigen? Die von ihm gewählten Waffen der politischen Auseinandersetzung, die Waffe der demagogischen Diffamierung der DemonstrantInnen und die Waffe der Mobilisierung von unwissenden und aufgeputschten Arbeitern aus anderen Landesteilen erinnern zu sehr an die Vergangenheit, als daß sich Iliescu jetzt weiter als demokratischer Reformer gerieren könnte. Die vorige Woche ergangene Aufforderung der bekannten Dissidentin, Doina Cornea, die neue rumänische Regierung vom Ausland her zu boykottieren, bis nicht tatsächlich eine Öffnung zur Demokratie in Rumänien stattgefunden habe, gewinnt angesichts der Ereignisse in Bukarest jedenfalls an Gewicht.

Erich Rathfelder

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