Und immer wieder stellt sich die Koalitionsfrage

Berlin: Die Alternative Liste entscheidet heute und morgen wieder einmal die Fortsetzung der rot-grünen Koalition / Die SPD will sich nicht auf eine Tolerierung einlassen / Ein Ausstieg aus der Koalition würde das Aus für Rot-Grün auch im künftigen Groß-Berlin bedeuten  ■  Aus Berlin Kordula Doerfler

Begeistert von der anderthalbjährigen rot-grünen Koalition zeigte er sich nicht gerade, aber sie sei doch politisch zweckmäßig und vernünftig und habe darüberhinaus durchaus Erfolge aufzuweisen: So äußerte sich der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper (SPD) zu „seiner Koalition“ - zwei Tage vor einer „historischen“ Mitgliedervollversammlung (VV) des Koalitionspartners Alternative Liste, auf der wieder einmal über die Koalitionsfrage entschieden wird.

Aber die zweitägige Versammlung der Alternativen erregt die Gemüter in der Stadt nicht sonderlich. Zu sehr ist die Berliner Bevölkerung der permanenten Koalitionskrise überdrüssig, zu sehr wird sie von sozialen und ökonomischen Ängsten umgetrieben, die mit der Vereinigung beider Teile Berlins auf die Stadt zukommen. Dennoch geht es um mehr als nur um die Entscheidung über die Westberliner Koalition, denn jeder politische Beschluß hat Auswirkungen auf den Ostteil der Stadt und das künftige Gesamt-Berlin. Der VV liegen zwei Anträge aus Kreuzberg und Wedding vor: die Kreuzberger möchten „überlegt“ aus der Koalition aussteigen

-mit der Begründung, die Koalition sei in ihren „wesentlichen Zielen gescheitert“. Scharfe Kritik an „König Momper“ schließt sich an. Die Stimmung in der AL ist jedoch nicht so eindeutig, wie die beiden Ausstiegsszenarien vorgeben. Die drei AL-Senatorinnen haben sich in einer taz -Debatte dezidiert für die Fortsetzung von Rot-Grün ausgesprochen, und trotz angeschlagener Stimmungslage tendieren auch die Fraktion im Abgeordnetenhaus und der Parteivorstand zur Fortsetzung des Bündnisses. Etliche Mitglieder der Fraktion und des Vorstandes reichen einen Antrag ins Plenum, der „trotz der großen politischen Probleme und Fehler“ fordert, „die Koalition zum jetzigen Zeitpunkt nicht aufzukündigen“. Tolerierung bezeichnen die Unterzeichner als „alten Hut“. Der Vorwurf ist nicht falsch, denn die „Toleristen“ von heute sind auch die, die schon bei den Koalitionsverhandlungen im März 1989 für dieses Modell waren.

Wie am Samstag abgestimmt wird, ist nahezu unkakulierbar: zu unberechenbar sind die schwerfälligen Strukturen der Partei. An einem besteht vor der Abstimmung kein Zweifel: Die Sozialdemokraten werden bei einer Tolerierung keinesfalls mitspielen. Zu groß ist die Angst, in der Öffentlichkeit noch schwächer dazustehen als mit dem unbequemen Koalitionspartner. Was die SPD macht, wenn die Koalition tatsächlich platzen sollte, verriet Momper bislang nicht. Denn fast genauso unvorstellbar wie eine Tolerierung seitens der AL ist für Momper eine große Koalition mit der CDU unter deren Vorsitzenden Diepgen. In der schwierigen Gemengelage der nicht mehr ganz geteilten, aber auch noch nicht ganz zusammengewachsenen Stadt mit einer schwarz-roten Regierung im Osten und einer rot-grünen im Westen, die aber im Osten kräftig mitmischt, würde ein Ausstieg der AL das Aus für Rot-Grün auf Gesamtberliner Ebene bedeuten. Und das wäre bei Gesamtberliner Wahlen durchaus eine realistische Alternative.