Behörde will Schulreform als Freizeitspaß

■ Streik für Fortsetzung von Integrations-Klassen im SZ Gottfried-Menken-Straße / Behörde: Kein Geld für Extra-Touren

Die partnerschaftsarbeit-för dernd zusammengestellten Schulbänke zur besten Geruppenarbeitszeit: unbesetzt. Die Kuschelecke in der hinteren rechten Klassenzimmerecke: leer. Selbst die Blindschleichen aus Pelikan-Tuschfarbe, die sich (zur motivi

tationsfördernden Einführung des Farbspektrums) auf ihren Malblocks tief ins Oliv-, Lind- und Grasgrüne ducken, hätten sich gestern arglos aus ihren Verstecken schlängeln können: Außer ihnen war sowieso (fast) niemand da. Von 84 Fünftklässlern

im Schulzentrum Gotfried Menken-Straße hatten 81 wichtigeres zu tun als „Purzelwörter“ zu suchen, den Diktattext über die Olympischen Spiele zu üben oder für den Auftritt von „Schulzirkus Allerlei“ zu proben. Mit ihren Eltern demonstrierten sie gestern dafür, daß es all die Projekte für einen integrativen Unterricht überhaupt noch an ihrer Schule geben kann.

Daß man dabei alles mögliche lernen kann, was sich z.B. auch bei Schulstreiks nutzbringend anwenden läßt, zeigten die 10-und 11jährigen, als Schulleiter Manfred Meyer ihren Streikaktionen eine unvorhergesehene Wendung gab. Als die Pökse mit selbstgemalten Transparenten und selbstgetexteten Parolen gerade auf den Schulhof stürmen wollten, verhängte Meyer für Schuleltern und Journalisten kurzerhand Hausverbot. Schlagfertig nahmen die kleinen DemonstrantInnen die großen an der Hand und verlagerten alle Streikaktionen vors Schulgrundstück.

Seit einem dreiviertel Jahr proben die Fünftklässler zusammen mit ihren drei Klassen- und elf Fachlehrerinnen in der Gottfried-Menken-Straße die Gesamtschule. Statt sturen 45-Minuten-Lernhäppchen gibt es offene Wochenpläne, Projektgruppen, in denen sich Schüler aus verschiedenen Klassen zusammenfinden, Integrationsgruppen, in denen „die Neuen“ aus Rumänien, Polen oder dem Libanon vorbereitet werden. Gemeinsames Ziel der Eltern und der beteiligten LehrerInnen: Durch neue Unterrichtsformen soll die Sortierung der Schüler in spätere Haupt-, Real- und Oberschüler möglichst überflüssig werden, alle sollen miteinander soviel wie möglich lernen.

Damit könnte allerdings schon bald wieder Schluß sein. Denn neue Unterrichtsformen kosten zusätzliche Zeit. Auch bei den Lehrern. Statt nach Lehrplan,

Mathe und Lesebuch vorzugehen, müssen sich alle gemeinam jede Woche neu überlegen, wie es jetzt weitergeht. Insgesamt 17 Stunden - für jeden beteiligten Lehrer eine - hat die Schulleitung im letzten Jahr dafür bewilligt. Mit diesem „Luxus“ soll jetzt Schluß sein. Schon im nächsten Schuljahr sollen alle Lehrerinnen wieder richtliniengemäß und voll treu eingespannt werden. Und noch eine weitere Hürde hat die Schulbehörde vor die Fortsetzung des Schulexperiments gesetzt: In jede der usprünglich überschaubaren Klassen mit durchschnittlich 18 Schülern sind in den letzten Monaten jeweils 10 Neue zugewiesen worden, in der Regel Kinder von Aus- und Übersiedlern.

Weniger Vorbereitungszeit für immer mehr Kinder - damit ist das Integrationsprojekt gestorben, sind die meisten Eltern und Lehrer sich einig, von denen einige im Hinterkopf schon von

einer neuen Gesamtschule in der Neustadt träumen.

In der Schulbehörde sieht man das allerdings ganz anders. Sigrid Jordan, zuständige Oberschulrätin, hat eine ganz einfache Lösung: „Lehrer müssen sowieseo ständig an der Weiterentwicklung ihrer Schule arbeiten, sich vorbereiten und Konferenzen abhalten, das ist ihre Regelaufgabe, für die Extra-Stunden nicht vorgesehen sind.“ Klartext: Auch die Behörde hat nichts gegen Integration, nur muß sie das Privatvergnügen von Lehrern bleiben. Ganz alleine steht die Behörde mit dieser Meinung übrigens auch an der Gottfried -Menken-Straße nicht. Als im Lehrerzimmer jüngst nach weiteren KollegInnen gesucht wurde, um auch den nächsten Jahrgang von Fünftklässlern „integrativ“ zu unterrichten, fanden viele: „Wenn ihr euch so viel Arbeit aufhalst, bitteschön. Wir machen aber lieber weiter wie immer.“

K.S.