Cezannes Landschaft ist verbrannte Erde

Der legendäre Berg „Sainte-Victoire“ in der Provence ist im letzten Jahr durch Waldbrände größtenteils verwüstet worden Cezanne-Ausstellung in Aix soll Geld für die Wiederaufforstung bringen / Verkohlte Pinien stehen unter Denkmalschutz  ■  Aus Aix A. Smoltczyk

Das Gebüsch war gelber Ginster, die Bäume waren vereinzelte braune Föhren, die Wolken erschienen durch den Erddunst bläulich...“ Wo Peter Handke episch-sinnend „durch die Farben ging“, an der Südseite des Berges Sainte-Victoire, dessen Farbstrukturen zu ergründen Cezanne sich sein ganzes Leben abgemüht hat - dort ist die Landschaft zu einer Schwarz-weiß-Zeichnung geworden: Als hätte sie jemand verkehrt herum, mit den Wurzeln zuoberst in den Boden gesteckt, ragen kahle Pinienstümpfe, Eichenskelette und verkohlte Olivenbäume in die Luft. Abgebrannte Villen und mannshohe Holzstapel, bereit zum Abtransport. Zwischen St. Antonin und Puyloubier hat kaum eine der Sonnenschirm -Kiefern überlebt, die auf Cezannes Bildern für Farbe sorgten. Es ist absolut still und riecht - nach nichts.

Die Südseite des Sainte-Victoire, einige Kilometer östlich von Aix, ist für Spaziergänger bis auf weiteres gesperrt. Die Wege sind durch die bereits einsetzende Erosion größtenteils unbegehbar geworden, das Kalk- und Tongestein hat sich gelockert. Archäologen befürchten außerdem, daß ihre Fundstätte, wie jene legendären Dinosaurier-Brutplätze in den jetzt frei daliegenden Grotten, von neugierigen Touristen geplündert werden könnten.

Bei Puyloubier sind einige hundert skinheadähnliche Gestalten mit Motorsägen, Schaufeln und Hacken zu sehen: Fremdenlegionäre, die mit dem Abholzen der verbrannten Baumstümpfe beschäftigt sind. „Innerhalb von fünf Stunden hat das Feuer die gesamte Südseite abgefressen. Bei einem Mistral von 80 Stundenkilometern konnte die Feuerwehr nichts machen...“, berichtet Colonel Jean-Pierre Dupuis, der im letzten August samt seinem Invalidenheim der Fremdenlegion von den Bränden eingeschlossen war. Ein Indochina-Veteran, so erzählt Dupuis, sei dabei ums Leben gekommen: Im festen Glauben, daß es sich um einen Napalm-Angriff handelte, sei er schreiend aus dem Haus gerannt und nicht mehr wiedergekommen.

6.000 Hektar Mittelmeerbewuchs wurden auf Sainte-Victoire vernichtet, 75.000 Hektar waren es im letzten Jahr in ganz Frankreich - dank der andauernden Trockenheit und dem außergewöhnlich starken Mistral. Als Konsequenz aus den Waldbränden des letzten Sommers hat der Umweltminister endlich ein seit langem gefordertes Gesetz erlassen, wonach die Bebauung von abgebranntem Terrain mehrere Jahre lang verboten ist. Vor allem in Korsika war Brandstiftung durch unternehmungslustige Immobilienmakler als Ursache für die Brände vermutet worden. Weil die metereologische Lage nach wie vor einen „roten Sommer“ verspricht (in der Gironde sind im März bereits 7.000 Hektar Kiefernwald abgebrannt), hat die Regierung in diesem Jahr deutlich mehr Mittel, knapp 800 Millionen Francs, für Unterholzbeseitigung, verstärkte Kontrollen und neue Löschflugzeuge bereitgestellt. Aber: „Letztlich hängt alles vom Mistral ab. Wenn er wieder so bläst wie im August, nützen alle Geräte nichts“, meint der Bürgermeister von Tholonet am Fuße des Victoire, und er erzählt, daß der Brand kurioserweise durch eine präventive Maßnahme entstanden ist: Einem umsichtigen Privatbesitzer war beim Entholzen die Motorsäge aus der Hand gerutscht und hatte Funken geschlagen. Die Gerichte werden jetzt klären müssen, ob der Mann trotz Erlaubnis des Präfekten bei den Windverhältnissen überhaupt sägen durfte. Bevor das Urteil gesprochen ist, zahlt keine Versicherung auch nur einen Centime an die privaten Besitzer, denen zwei Drittel der Sainte-Victoire gehören. Der Staat hat bislang lediglich die kostenlose Entstrüppung angeboten - aber viel Gestrüpp ist auf dem Berg nicht mehr zu finden.

Vergangene Woche wurde in Aix der Plan zur Wiederaufforstung der Sainte-Victoire vorgestellt. Direktor March vom Syndikat der sieben betroffenen Gemeinden formuliert die Lehre der Sainte-Victoire so: „Wir wollen das Beste aus der Katastrophe machen. Also nicht wie früher die feuerempfindlichen Pinien einfach nachwachsen lassen, sondern resistentere Arten pflanzen: Wein, Eichen, Zedern. Im übrigen kommt das der Sainte-Victoire von Cezanne auch näher, die damals weitaus stärker landwirtschaftlich genutzt wurde“. Weil der Berg Cezannes von de Gaulles Kulturminister Andre Malraux unter Denkmalschutz gestellt wurde, fließen die Aufbau-Subventionen leichter als bei anderen abgebrannten Regionen der Provence. In diesem Sommer sollen mit Hilfe der Armee und Freiwilligen zunächst 500 Hektar verbrannten Waldes abgeholzt werden. Gesamtkosten der Säuberung: 14 Millionen Francs (4,2 Millionen DM), Gesamtkosten der Wiederaufforstung: noch nicht abzusehen.

So wird vom 15.Juni bis zum 2.September in Aix eine Ausstellung zu sehen sein mit den Sainte-Victoire-Bildern von Cezanne, Picasso, Masson und Granet. Die Einnahmen fließen dem Aufforstungsprogramm zu. Damit werden wohl zum ersten Mal Bilder dazu dienen, ihren Bildgegenstand zu rekonstruieren.