DIE VERFÜHRUNG

■ Salome Haettenschweiler in der Galerie Johannes Peter

Vom Wachsen der Malerei in den Raum. Ein fester und stabiler Kern aus Holz, mit Kaninchendraht und Papiermache luftig umwickelt, darüber schmale Stoffstreifen aus Baumwolle und Futterstoff, in Farbe und Asche gefärbt: so setzen sich die drei surfbrettartigen Objekte von Salome Haettenschweiler zusammen. Die Künstlerin aus der Schweiz, die seit 1986 in Berlin wohnt, arbeitet von innen nach außen, läßt ihre Objekte allmählich in den Raum wachsen, verleibt den Volumen der Kunstkörper Segmente des Raumes ein. Die Bandagierung behauptet ein Verhältnis von Kern und Hülle, Frucht und Schale, Verborgenem und Sichtbarem, Geheimem und Offenbarem, Verletzbarkeit und Schutz. Zugleich erinnert diese Technik an Bilder aus der Werkstatt von Bildhauern, die ihre Modelle aus Gips durch feuchte Tücher im Zustand der Formbarkeit halten. Anrührender als eine vollendete Skulptur erzählt dieses Bild von den Möglichkeiten des Werdens und den Risiken des Zerbrechens.

In der Umwicklung der Dinge setzt Salome Haettenschweiler ihre Malerei mit anderen Mitteln fort: statt der Flächen von schwarzer und weißer Farbe, die wie übereinandergehängte Stoffbahnen ihren Bildräumen Tiefe verliehen, schichtet sie jetzt verschiedene alltägliche und arme Materialien übereinander. Die Stoffbänder übernehmen wie Textzeilen oder Pinselstriche die Funktion, der Oberfläche eine Textur zu geben. Schon in ihren Zeichnungen wurden die Flächen von bandartigen Linien begrenzt und im Innern gegliedert. In den Ding-Kompositionen kommen Fundstücke aus dem Atelier oder der täglichen Umgebung der Künstlerin in die ästhetische Inszenierung, die in der Malerei durch die Bildbegrenzung und die Flächigkeit ausgeschlossen waren. Hat die Malerei sich einmal von dem Aspekt der Wiedergabe gelöst und bezieht sich auf ihre Materialität, dann kann alles zum Mal-Grund werden und zur Strukturierung der Oberfläche dienen.

Haettenschweiler gestaltet ihre Eingriffe in das Material sichtbar. Die Stoffe, aus ihrer funktionalen Eingliederung herausgerissen, werden nicht zu einer künstlichen Homogenität verschmolzen, sondern in ihrer Fremdheit aneinandergebunden. In den Objekten verdichtet sich die schon vorhandene Dingwelt zur neuen Sichtbarkeit. Das Nebensächliche gewinnt die Anmutung von Artefakten, beansprucht die Aufmerksamkeit von kultischen oder archaischen Gegenständen.

Fünf Holzstücke, umwickelt und mit weißer Farbe bemalt, liegen auf einer weißen Platte. Sie sind mumifiziert; in ihnen ist die Zeit angehalten, ein Zustand eingefroren. Wann ein Objekt seinen endgültigen Zustand erreicht hat, findet die Künstlerin über Versuche, Beobachtung und Abwarten heraus. Zu ihrer Arbeit gehört, den Dingen die Ruhe zu geben, sich zu entfalten. So gewinnt die Materie einen Anschein von Autonomie und Belebung. Jedes Ding beansprucht seinen Raum. Jedes Ding ist nur Fragment, Teil eines zerstörten Ganzen. Jedes Ding fordert seinen Ort, der ihm Schutz gewährt. Die Künstlerin öffnet sich der Verführung durch die Gegenstände.

Katrin Bettina Müller

Salome Haettenschweiler, Galerie Johannes Peter, Friedrichstr. 206, bis 23. Juni Do bis Sa 16-19 Uhr.