DDR: Die Arbeitslosenkurve steigt

Sozial- und Arbeitsministerin Hildebrand (SPD): Die Investoren sind nicht gekommen / Jetzt 130.000 Arbeitslose / SPD stolz auf Staatsvertrag  ■  Aus Berlin Axel Kintzinger

Ein reichlich düsteres Bild von der Arbeitsmarktsituation in der DDR zeichnete Arbeits- und Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) gestern in Berlin. Bis gestern waren offiziell 130.000 Arbeitslose registriert, über die von Unternehmen angekündigten Entlassungen wollte die Ministerin nichts Genaues sagen.

Die Kurve in der Arbeitslosenstatistik zeigt steil nach oben - allein in der vergangenen Woche habe sich die Quote verdreifacht. Ab Juli dürften sich die Zahlen dramatisch erhöhen, vermutete Hildebrandt und klagte in diesem Zusammenhang über die fehlende Investitionslust westdeutscher Unternehmen. Joint-venture-Verträge seien überwiegend nur in der Handelsbranche geschlossen worden. Doch damit, so Hildebrandt enttäuscht, schaffe man keine neuen Arbeitsplätze. Als lobenswerte Ausnahme wurde lediglich das Engagement der Volkswagen AG genannt. Die Wolfsburger sind in die Zwickauer Trabant-Werke eingestiegen.

Aber auch diese Aktivität reiche nicht aus, um die derzeit 10.800 Arbeitsplätze in diesem Werk zu retten. Zwickau braucht, führte Hil-debrandt gestern aus, Investitionen in Höhe von 240 Millionen D-Mark. Doch die sind nicht in Sicht, und ein Konzept für die Weiterbeschäftigung oder -qualifizierung der dort Arbeitenden fehle. Dabei böten die Nachbesserungen im Staatsvertrag, derer sich Hildebrandt gemeinsam mit dem sozialpolitischen Sprecher der West-SPD, Rudolf Dreßler, rühmten, diese Möglichkeit. Denn: Künftig werden die Arbeitsämter Umschulung und Weiterqualifizierung auch für diejenigen finanzieren, die von Arbeitslosigkeit bedroht, aber noch nicht entlassen worden sind.

Dazu gehört auch eine Kurzarbeiterregelung, die im Westen unbekannt ist. Danach beziehen Arbeiter und Angestellte, die in ihrem Betrieb faktisch nichts mehr zu tun haben, Kurzarbeitergeld und können in ihrem Unternehmen weitergebildet werden. Nach Angaben von Ministerin Hildebrandt wird diese Möglichkeit von den betroffenen Arbeitnehmern jedoch nicht oder nur sehr unzureichend wahrgenommen. Die Betroffenen hätten noch keine Meinung darüber, auf welchen Beruf sie umsatteln sollten und in welchen Branchen Arbeitsplätze benötigt werden.

Zufrieden äußerte sich Hildebrandt über die verabredeten Mindestrenten, die wenigstens fünf Jahre garantiert werden. Ferner habe die SPD mit ihrer Bundesratsmehrheit durchgesetzt, daß die Unfallversicherung der Beschäftigten vollständig vom Arbeitgeber bezahlt werden muß. Unklar bleibt jedoch, wie und von wem die Arbeitsamtsmaßnahmen finanziert werden sollen. Dreßler listete in diesem Zusammenhang den sozialdemokratischen Forderungenkatalog auf: Rücknahme der Steuersenkungen (das bringe allein 25 Milliarden D-Mark) und Streichen des umstrittenen Jäger-90 -Projektes. Dreßler kündigte an, seine Fraktion wolle in der kommenden Bundestagssitzung, in der in zweiter und dritter Lesung über den Staatsvertrag abgestimmt werden soll, auch einen Antrag auf Beendigung der Jäger-90-Planung stellen. Die SPD fordert dabei eine namentliche Abstimmung.