Fahr‘ aus mein Herz und suche Freud‘

■ Mit dem Triebwagen durch das Teufelsmoor: Ein samstäglicher Ausflug / Paradiesische Zustände für Öffentlichen Nahverkehr

Es gibt vernünftige und unvernünftige Fortbewegungsmittel. Eins mit vier Buchstaben nannte bereits mein Vater eine Fehlkonstruktion. Um Mißverständnissen vorzubeugen, bleibe ich hinsichtlich favorisierter Fahrzeuge bei den traditionsreichen Langformen - z.B. Eisenbahn - die, das weiß ich seit Samstag, noch eine nahverkehrspolitisch unschätzbare Variante besitzt: das Triebfahrzeug und volkstümlich schon immer Triebwagen hieß...

Die gesellschaftliche Vernunft ist schwer zu fassen, für gewöhnlich widersprüchlich und selten so eindeutig, wie eine Initiative von Grünen, BUND, VCD, ADFC und BBV am vergangenen Wochenende demonstrierte: Wenn die Menschheit sich denn schon fortbewegen muß, warum tut sie es nicht mit Bedacht - und obendrein vergnüglich (um nicht zu sagen: lustbetont)? Und warum soll das Ganze nicht von Bremen seinen neuen Anfang nehmen - im Sinne eines Konzepts, das den Individualverkehr durch Schwachhausen, Horn, Borgfeld, Lilienthal, zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) drastisch reduzieren könnte?

Zum Auftakt der Aktion, der sich NaturfreundInnen aller Art zugeselleten, spielte die Watergate Company des Hern v. Knobelsdorf am Bahnhofsvorplatz. Doch leider (leider!) konnte das mitels populärer Klänge eingestimmte Volk im großen Ganzen noch nicht mittun, weil (nun eben weil!) die Möglichkeit, die hier

ausprobiert wurde, nicht mehr und immer noch nicht wieder zum allgemeinen Nu7tzen und Frommen eine öffentliche ist...

Um diesem Zustand abzuhelfen - und auch, um sich selbst mal was Gutes zu tun - setzte sich das Häuflein der aufrechten Eisenbahnliebhaber in Gang; vorerst, um sich selbst etwas Gutes zu tun - setzte sich das Häuflein der aufrechten Eisenbahnliebhaber in Gang; vorerst, um in einen ganz normalen Nahverkehrszug nach Osterholz-Scharmbeck zu steigen. Unklug auch, daß meine Kinder wieder mal so gierig waren und den ganzen Proviant gleich schon aufessen mußten, wobei sie die Mitfahrer im Abteil mit Gewusel un Gekrümel nervten - denn richtig gemütlich wurde es erst, nachdem wir umgestiegen waren: in das eingangs erwähnte Triebfahrzeug in Osterholz-Scharmbeck, das dann ein reizender Triebfahrzeugführer mit uns durchs schöne Land zu dieser Zeit fuhr. Allerliebst auch das Innere des Waggons: nicht allein mit gepolsterten Bänken, sondern auch Tischlein, auf denen sich im Nu alles decken ließ, was das Herz begehrte! Und endlich durfte die Watergate-Company wieder blasen - das Wägelchen rockte an. Gleich hinter OHZ präsentierte sich der Holunder als Sinnbild wildwüchsiger Natur zu Zeiten der Johannis-Nacht. Und so fuhren wir an einem eher verhangenen Sommertag durch Wiesen, umarmt von Flüssen, und über die Flußarme

führten Brücken, und unter den Brücken schwammen Schwäne... Und auf den Wiesen grasten Rehe - und alles Getier im Wald, im Wasser und in der Luft ärgerte sich wenig über die Eindringlinge ins Revier. Stattdessen schien es, daß selbst gelbschnäblige Fischreiher das Gefährt mit wohlwollender Toleranz begutachteten - seiner vorübergehenden Harmlosigkeit gewiß. Wen hätte es da gewundert, wenn auch von der Seite ein sympathisierendes Transparent entrollt worden wäre, etwa des Inhalts: We want ÖPNV! oder: Eisenbahn statt Autowahn!

Auf einer Brücke über die Hamme blieben wir stehen, um ins Land zu schauen - und die Brücke hielt! Herr Lieb, unser heimatkundlicher Steuermann, wußte so ziemlich alles über Flora und Fauna unter dem norddeutschen Tiefenebenenhimmel. Und niemand konnte seine Frage beantworten: „Wie solte man anders so unproblematisch in diese noch ziemlich intakte Kulturlandschaft gelangen?“ Gut Bescheid wußte er auch über kleine Bahnhöfe _ an denen auf Wunsch gehalten wird (wo gibt's denn so was)! Den Worpsweder kennt nun fast jede(r) aber nicht so, wie wir am Damstag auf ihn zutrieben

-beinahe schwebend, mit Musik - dermaßen gut drauf (und drin) - da war das ein ganz großer Bahnhof: lauter Leute, die auf uns warteten. Es gab Kaffee und Kuchen und Bier und sogar einen Lyriker zu sehen, mit Hut. Hände wurden geschüttelt, es wurde gefragt, geschrieben, fotografiert.

Um es endlich mal zu sagen: Die Strecke führt von OHZ über Worpswede, Hüttenbusch, Gnarrenburg und Basdahl bis Bremervörde - eine Strecke, die aus nichts besteht als zwei parallel verlaufenden jeweils ein paar Zentimeter breiten Eisenbändern (im Volksmund Schienen), verbunden durch Streben (Schwellen genannt), die schon so weit im Erdreich versunken sind, daß man sie kaum sieht. Mehr braucht es nicht. Und dazwischen wächst noch was! Können Sie sich einen verträglicheren Eingriff in die Natur zugunsten unserer unvermeidlichen Fortbewegung vorstellen? Ich frage ja bloß und die ganze Anlage ist auch schon da! Man wundert sich: Warum wird sie eigentlich nicht genutzt, und woher kommt das Gerede von weiteren Streckenstillegungen?

Gehören Sie vielleicht zu denen, die, isoliert von den Mitmenschen, in einer dieser stinkigen

Blechkisten, allenfalls begleitet von einem (wenn nicht mehreren) genervten Familienangehörigen, die para -pardiesischen Zustände im Teufelsmoor empfindlich stören wollten? Oder all diese entzückenden Orte zum Ausflugen erstmal mit Straßenlärm und Abgasen verpesten? Was nuscheln Sie? Wer soll das bezahlen?

Aber: Hallo! (um mit meinen unbelehrbaren Kindern zu reden), wer bezahlt den Straßenbau von seinen Steuergroschen? Und wer kommt für gesundheitliche Folgeschäden auf - nach dem Verursacherprinzip? (Den Toten ist sowieso nicht mehr zu helfen.) Natürlich ist das alles eine Kostenfrage, wie Herr Schulze schon sagte. Und ich würde auch nie soweit gehen, zu behaupten, je mehr es kostet, desto besser... Nur wenn die Gesellschaft sich solch ein Verkehrsmittel leisten wollte und auch was kosten ließe - welchen Lustgewinn brächte es doch ein! (Nicht nur für die inneren NutzerInnen - sondern beispielsweise auch für die Zuschauer aus dem Tierreich!) Das Gefährt ist schlichtweg umweltfreundlich. Und Herr Lieb erklärt seinen Fahrgästen obendrein, wie das mit dem Torfstechen ist und warum Torfmull für den Garten nicht die Bohne sinnvoll ist: Er bringt zwar alles zum Keimen, bietet aber wenig Substanz!

Also: Schluß mit dem Torfabbau - Schluß mit dem Straßen(aus)bau! - der doch die Landschaft noch bei weitem mehr verschandelt.

Wählt man die Telefonnummer 04761 - 5051, meldet sich die Güterabfertigung der Eisenbahn-und Verkehrsbetriebe Elbe -Weser-GmbH (EVB). Wenn man Glück hat, ist gleich Herr Schulze am Apparat, der auch Auskunft gibt über das Para -Paradieswäglein (das man nämlich ganz privat mieten kann aber darauf komme ich noch - und dann höre ich auch auf zu schwärmen...)

Das Erstaunliche ist, daß Güterverkehr durchs Teufelsmoor per Schiene weiterhin funktioniert - werktags fahrplanmäßig... Warum sollten uns Menschen (und Tiere) nun weniger wert sein als Sachen? (Denn auch der Güterverkehr fährt nicht ohne Zuschuß, versteht sich, sagt nicht nur Herr Schulze: ein Zuschuß, der sich ökologisch bloß billiger rechnet, was im Grunde auch alle wissen.) Wär‘ es nicht so schön - und so viel vernünftiger - allen Ausflüglern am Wochenende dies Glück zu gönnen: Landschaftsgenuß ohne Reue? Die Initiatoren des Samstagsausflugs und bei den EVB beschäftigte Praktiker denken weiter: das an den Wochenen

den finden sie nett - ihnen geht es aber um mehr. Sicher ist es fein, wenn sich private Initiativen (sei's zu Großfamilien - oder Betriebsausflügen, Geburtstags-oder Eiserne-Hochzeitsfeiern) zusammenfinden und sich des Schienenfahrzeuges bedienen, indem sie es mieten. (Wie immer erweist sich auch dabei als beste Werbung die von Mund zu Mund - den Sommer über sind die EVB an Wochenenden beinah ausgebucht.) Noch unkomplizierter wäre die Geschichte übrigens, wenn frau gleich in HB-HBF einsteigen könnte (allein der krümelnden Kinder wegen). Doch so lange das Ganze nicht mit Fahrplan funktioniert, wäre ein bei der Bundesbahn angesiedelter „Lotse“ nötig: für die Strecke bis OHZ und zurück. Auch das eine reine Kostenfrage! Je nun Fahrplan hin,-Fahrplan her - die DB scheint kooperationsbereit, wieso ist das nicht hinzukriegen, wo auch die EVB gewissermaßen staatlich organisiert sind mit Trägern wie Land Niedersachsen, den Landkreisen Osterholz und Rothenburg, sowie beteiligten Kleinstädten und Gemeinden. Dort ist man der Meinung, der ganz normale Berufsverkehr an Wochenenden müsse der Ansatzpunkt sein. Insofern bleibt den Forderungen der Grünen und des BUND die selbst von SPD-Kreisen getragen wird - wenig hinzuzufügen: sie beschränken sich nicht auf das Teufelsmoor, sondern möchten die einstmals paradiesischen Zustände des Eisenbahnfahrens auf das gesamte Umland zwischen HB und HH (wieder) ausgeweitet haben. Manchmal scheint für vernünftigen Fortschritt ein Innehalten angezeigt, unter Umständen Umkehr - mitunter genügt die Rückbesinnung auf Kulturtechniken, deren Überholung auf umständlichen Marktgesetzen nicht mal mehr Marktgesetzen entspricht. Sicher sind auch neuere Triebwagen denkbar, technisch ein wenig ausgereifter, ohne die althergebrachte Gemütlichkeit zu vernachlässigen, wozu mir als Parallele die artenreiche neuzeitliche Fahrradgeneration einfällt. Und nun stellen Sie sich vor: Sie könnten in solchen Triebwagen haben!) auch noch ihr Fahrrad mitführen, um Ihre Umnatur zu erkunden, ohne sie durch Unnatur zu zerstören - eine Perspektive, die einer ja das unschuldige Lied auf die Lippen treiben kann; Fahr‘ aus mein Herz und suche Freud‘ in dieser schönen Sommerzeit... Ehrlich - Sie fühlen sich soviel besser und (mittels öffentlichem Nahverkehrs) bei weitem erfahrener.

Konstanze Radziwill