Buona Notte, Lago die Garda

■ Goethes Herz wurde vom Gardasee noch erquickt. C.G.Goldner findet ihn zum Heulen

er, auf den Spuren des alten Geheimrats Goethe, zu einer italienischen Reise sich anschickt, Kunst und Kultur zu erleben, den Zauber der vielfältigen Landschaft, die Begegnung mit dem ein oder andern, unternimmt solche, anders als jener, wohlweislich in zeitigem Frühjahr; auch und gerade wenn das Ziel der Reise nur eben dessen erste Station ist, an die es ihn eher zufällig verschlug auf der Fahrt nach Verona. Die Rede ist, leicht zu erraten, vom Gardasee, dem Lago di Benaco, den Goethe im September 1786 erstmalig besuchte und dessen Anmut, wie er in seinem Tagebuch vermerkt, ihn „so recht im Herzen erquickt hatte.“

Der Gardasee heute: kaum ein Ort in ganz Italien, der weniger italienisch wäre als dieser (Südtirol einmal ausgenommen). Eine Exklave gewissermaßen deutschen Hoheitsgebietes, mit all dem, was eben zum Wesen des Deutschen gehört. Erquickende Anmut? Es ist zum Heulen. Aber! Eben nur im Sommer.

rst wenn ab Ostern die Campingplätze rund um den See sich mit Wohnwagen aus Wanne-Eickel zu füllen beginnen und die Ristorantes entlang der Gardesana ihre Schilder „Touristenmenü“ herausstellen, werden Riva, Malcesine, Sirmione und wie die Orte alle heißen, zum Alptraum: Hunderttausende, die in einer endlosen Blechlawine nach Italien drängen, um hier, am Gardasee, die angeblich „schönste Zeit des Jahres“ zu verbringen: Surfboard neben Surfboard neben Surfboard neben Surfboard. Kein Horrorszenario Dantes, das nicht von teutonischer Urlaubsrealität am Lago di Garda längst schon überholt wäre: Wer einmal die Massen erlebt hat, die sich tagtäglich durch die römischen Ausgrabungen in Sirmione hindurchwälzen („Bildung muß sein, dafür ist man ja schließlich in Italien“) und auf jeder Marmorsäule mit Filzstift hinterlassen, daß sie auch da waren, weiß, wovon die Rede ist.

Offizieller Auftakt der Sommersaison ist alljährlich die Eröffnung von Gardaland, dem unsäglichen Amüsementpark am Ostufer mit Achterbahn und Bierzelt, der täglich Zehntausende von Besuchern anzieht. Direkt gegenüber am Westufer des Sees steht der „Vittoriale“, ein gigantisches Mausoleum, das Duce-Intimus Gabriele d'Annunzio sich selber errichtet hat. Auch hierher zieht es die deutschen Urlauber in Massen. Kultur muß sein.

Der Gardasee hat den Sommer über eine ungeheuerliche ökologische Belastung zu erdulden. Grob gerechnet werden in einer Saison rund 10.000 Tonnen Fäkalien in den See eingeleitet, völlig ungeklärt selbstredend. Die Surfbretter pflügen buchstäblich durch eine Brühe aus Scheiße. Mahlzeit. Vielleicht die Strafe der Götter, denn diesen, wie Catull schreibt, „gefällt frevelhaft Tun des Menschengeschlechts nie“.

Weshalb der See, ursprünglich von den Römern Lacus Benacus benannt, heute Gardasee heißt, bleibt unerschließbar. Vielleicht weil er als eine Art Gardewächter Italiens die Ströme von Touristen (samt ihren Fäkalien) nach Kräften zurückhält und somit verhindert, daß diese sich völlig unkontrolliert über den Apennien ergießen.

n diesem Jahr allerdings steht dem Gardasee der Kollaps bevor: Zusätzlich zur regulären Surfboard-Invasion fallen Hunderttausende von Fußballfans aus ganz Europa über ihn herfallen. Daneben peilen ihn selbst bislang gnadenlos auf Rimini oder Jesolo eingeschworene Italienurlauber heuer als Zielpunkt an - der adriatischen Algenpest wegen. Auch die Trabis, die erstmalig über den Brenner töffeln, werden ihren Gestank vorzüglich um den Gardasee herum verbreiten. All dies bedeutet natürlich auch gesteigertes Fäkalienaufkommen. Buona notte, Lago di Garda.

Apropos Fußball: In geschäftstüchtigem Blick auf die Weltmeisterschaft und die Massen, die zu diesem Anlaß in Italien einfallen, hat ein Ristorante am Gardasee extra eine neue Speisekarte drucken lassen: Es gibt nun nicht mehr Pizza Romana oder Margherita, sondern allen Ernstes, eine Pizza Gullit oder Spaghetti van Basten. Selbst ein Pizza Matthäus findet sich. Belegt mit Wurstel con Krauti, vermutlich.

An jedem Eck und Ende ist für die WM aufgerüstet. Überall klebt dieses grauenhafte Symbol, das, man muß ja gar nicht Psychoanalytiker sein, ja auch Bände spricht; ein Holzkasper in Nationalfarben, ungelenk zusammengefügt aus ein paar eckigen Klötzen, obendrauf mit einem Fußball als Kopf. Wie wahr, wie wahr.

m Frühjahr ist (oder war bis heuer?!) der Gardasee traumhaft. Er enthüllt eine Vielzahl an Kostbarkeiten, die er im Trubel und Neppgeschrei der Touristensaison auf fast mystische Weise verborgen hält: Nicht die großen Kunstschätze Venedigs oder Veronas, aber Kleinodien, die, gerade weil man sie selbst erst entdecken muß, von ganz besonderem Reiz sind: Der Kreuzgang etwa des alten Franziskanerkonvents in Gargnano, die kleine Kapelle San Vilio bei Torri del Benaco oder der Palazzo Martinego in Barbarano. Die Menschen rund um den See sind freundlich und heiter im Frühling. Es steht noch nicht die Gier nach Deutschmark in aller Augen.

Welch göttlicher Genuß, völlig alleine im Garten Catulls, gelehnt an einen der uralten Olivenbäume, in den Worten des Dichters zu lesen:

„Ihr Stinkböcke!

Weil ihr da geistlos,

hundert oder zweihundert,

zusammensitzt,

glaubt ihr,

ich werd‘ es nicht wagen

und euch nicht allesamt eins draufgeben?“