Stasi- Adressen-Liste

betr.: „Heimatkunde“

Ich lese zwar die Ost-taz, möchte Euch aber trotzdem gratulieren zu dem Mut, brisante DDR-Geschichte „dem Volk“ zuzumuten. Durch meine Arbeit bei amnesty international weiß ich, daß in Kolumbien regelmäßig Zeitungen wegen solcher Sachen unter Beschuß stehen. Zensurgewöhnte DDR-Journalisten sind da schon vorsichtiger, vielleicht ganz unbewußt.

Roland aus Hoyerswerda/Lausitz

Der öffentliche Charme der Indiskretion

Der Angeklagte, befragt, ob er bestätigen könne, von zwei Personen in der fraglichen Nacht bei fraglicher Tat an fraglichem Ort gesehen worden zu sein, verteidigt sich mit dem Hinweis, er könne mühelos in der nächsten Stunde hunderte Personen ranschleppen, die ihn in der fraglichen Nacht bei fraglicher Tat nicht gesehen und nie gesehen haben können.

So hätte ich als Verantwortlicher für die taz -Veröffentlichung der Stasiunterstände ganz und gar auf eine so magere Ausbeute von ich weiß nicht wie wenigen Adressen verzichtet und sämtliche (!) Wohnanschriften von Nichtstasiunterkünften rücksichtslos bekanntgegeben.

Das löst bei den Leuten gegenteilige Gefühle aus und reizt deren Geist, zu erkunden, wer eigentlich nicht in der Liste steht. So kommt er an die gleiche Information und hat die sichere Motivation, sich für seine Umgebung zu interessieren, indem er selber recherchiert. Oke, das will ja eine Zeitungsredaktion verhindern. Die Überheblichkeit aller Medien ist ja gerade die Portionierung der an den Leser gerichteten Nachrichten. Wenn wir wollen, daß dir, bester Rezipient, die Bratente am Mittag nicht mundet, so werden wir dir eben ein paar Schreckensbilder von totgeteerten Wasservögeln über die Mattscheibe flimmern.

Wenn wir nicht wollen, daß dein Sohn ein Bulle wird, so werden wir einen Steckbrief deines Sprößlings veröffentlichen, auf dem er wegen Bullenmord gesucht wird. Hinterher ist alles auf Seite 8 entschuldbar.

Der Ausruf: „Haltet den Dieb!“ sagt dem geübten Wegelager, daß er sich jetzt, wo alles dem vermeintlichen Räuber hinterherstarrt oder nachrennt, am Stand bedienen kann. Also wird der kluge Handlanger mit einem Kumpel solch eine Situation schaffen, die den Händler ablenkt und ihm volle Handlungsfreiheit gewährt.

Ich käme zum Beispiel nie darauf, Sascha Anderson oder Steffen Mensching als Dichter schlecht zu machen. Ich lobe meine Nachbarin, die mir mit ihrem Gedicht: Die Hauskatze sehr imponiert hat. In dem Text heißt es dreimal Miau, und das ist wirklich konkrete Poesie.

Ich stelle mich neben einem Nationalpreisträger für Waldhornblasen und sage einfach: Mein Kind läßt vielleicht Furze los, heissa die Jagdflinten!

Mir kommt kein „Onkel Diestel ist tot“ über die Lippen. Ich schreibe in meine Todesanzeige: „Aber wir leben noch. Die Hinterbliebenen.“

Ich höre mir die saublödeste Sinfonie bis zum Ende an und wenn alles vorbei ist, die Musiker einpacken und eine Geige zu Boden klatscht, spende ich herzlichsten Beifall und erkundige mich, wie so ein Klang zu erzeugen ist. Ich gehe ja auch nicht zu Beate Uhse und werfe die Fensterscheiben ein. Ich sage meinem Fleischer: „He, was laufen hier für schöne Schweinereien ab! Dein Hackklotz ist der reinste Peep.“

Für mich kann ein 68er zum letzten Arsch werden, ein Richter zum Dieb, eine Zeitung zum Käseblatt. Umgekehrt habe ich jede Wandlung lieber, obwohl ich weiß, daß es wirklich schwer ist für den Killer einen Kindergarten zu betreuen.

Wie gesagt: Wer mit jemandem abrechnen will, muß die Leute im Haus nicht hinter sich wissen. Er kann einem völlig Fremden auf der Straße eins aufs Maul geben und formulieren: „Das ist für Hans Müller. Aber der war nicht zu Hause.“

Übrigens - wer sagt mir denn, daß nicht die Stasi tief in der taz drinsteckt und die ganze Aktion von langer Spitzelhand vorbereitet ist, um regelunrecht abzulenken, von den wahren Nieschen der Horch und Gucker. Sowas verdiente meinen ungekürzten Respekt. Aber ich weiß von der Humorlosigkeit der öffentlichen Medien.

Ich glaube, Karl Eduard von Schnitzler war ein Komiker, einer der ganz Großen vom Format Bergmann-Pohl, eines Rainer Eppelmann oder eben Gorbi aus der Sesamstraße. Mielke jedenfalls das, wird sich amüsieren und wieder einmal nach Jahrzehnten auflachen. Allerdings kann das auf seine fünfzigjährige Verkalkung zurückzuführen sein.

Peter Wawezinek, Berlin

(...) Wenn den neuen KollegInnen die Kompetenz bei einem Thema abgesprochen werden soll, das allein in ihrem Kompetenzbereich liegt, dann mutet das sehr befremdend an. Wer nicht in der DDR lebt, wer nicht diese Veränderungen des gesamten gesellschaftlichen Umfeldes im Eilzugtempo mit den daraus resultierenden psychischen Belastungen auf jede einzelne Person selbst und am eigenen Leib miterlebt, der kann sich schwer ein genaues Bild von der herrschenden Atmosphäre machen.

Eine für Außenstehende unmerkliche, aggressive Spannung überschattet die zwischenmenschlichen Beziehungen in Familien, Freundeskreis, auf Arbeit, in öffentlichen Verkehrsmitteln, kurz überall wo sich das Leben abspielt. Wenn dann noch die zweifellos bestehende „latente Bereitschaft zu spontaner Gewalt“ als Übertreibung abgeurteilt wird, dann zeigt sich wohl für jeden DDR-Kenner beziehungsweise Bürger, wer hier fehlende Kompetenz zur Schau stellt. (...)

Torsten Lang, Aue

Als waschechter Zonie hab‘ ich mich über die von Euch, die Ihr uns - trotz Stacheldraht und Mauer - schon immer ein Zeichen der Hoffnung und der großen Freiheit wart, veröffentlichten 9.000 Stasi-Adressen viehisch gefreut! Hier im Osten scheinen die meisten noch immer zu bescheuert zu sein, den gerechten Zorn des Volkes zu pflegen und dabei noch - und das ist es, wofür wir Euch da drüben am meisten bewundern - Kohle zu machen.

Daß ausgerechnt Ihr es seid, die unsere Vergangenheit so echt knallhart und schonungslos aufarbeitet, hätte sich hier wahrscheinlich niemand träumen lassen.

(...) Ich kann Euch dazu nur beglückwünschen! Denn wir wissen doch alles: bis zur Einheit, die zuweilen schrecklich überraschend kommen kann, gibt es hier noch eine Menge zu tun. Schließlich wollen wir nicht mit leeren Händen kommen. Möglicherweise habt Ihr mit Eurem Sonderdruck sogar den Anstoß zu einem republikweitem Subbotnik (stalinistischer Terminus, der „freiwillige“ Arbeitseinsätze an Wochenenden meinte) gegeben? Ich jedenfalls bin da hoffnungsfroh: besonders patriotische und aufrechte Bürger, von denen die meisten ja schon immer dagegen waren, das aber (aus Angst vor Arbeitslager, Verbannung etc.) nie richtig zeigen konnten, werden durch besonders gewaltige Aktionen die Aufräumarbeiten im Osten einen mächtigen Schritt voranbringen.

Vielleicht aber, liebe West-tazler, könntet Ihr noch einen Sonderdruck mit Angaben zu den 108.000 Stasimitarbeitern und ihren etwa 100.000 Zuträgern herausbringen (Namen genügen)? Bei uns in der Zone bestünde mit Gewißheit ein brennendes Interesse.

J.Gille, Berlin

Meine persönlichen Erfahrungen wurden durch die Reaktion der Ost-tazler bestätigt: Verdrängung der (eigenen?) Vergangenheit und der Aufruf zur Vergebung. Ist denn das Wort schlimmer als die Tat?

Aber darum geht es eigentlich nicht. Den DDR-Bürgern wurde schon in der Schule eingetrichtert, daß das wertvollste Gut eines Volkes (Arbeiterklasse) ihre Geschichte sei. Man kann doch unmöglich alles, was unser Leben hier geprägt hat, vergessen. (...)

Ich muß feststellen, daß die Situation in der DDR für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist. Wer vermag schon von sich selbst zu sagen, wie er sich unter derartigem Druck verhalten hätte. Schließlich ging der Druck von fast allen aus. Jeder belog und belastete jeden, und jeder wußte vom anderen. Das Kartenhaus wurde endlich zu Fall gebracht. Damit kein neues entstehen kann, halte ich es für unerläßlich, die Geschichte der DDR voll aufzuarbeiten. Erst dann kann wirklich ein Schlußstrich gezogen werden. Unbewältigtes Unrecht wird nicht vergessen. (...)

Kerstin Rose, Neuglobsow/DDR

Eigentlich ist es scheißegal, worum es geht, und sei es Honeckers goldene Klobrille. Ihr habt mit Eurer „demokratischen Abstimmung“ zugunsten der Veröffentlichung der Stasi-Listen gegen die Einwände der DDR Leute genau das getan, was die CDU im Großen macht. Die wirklichen Interessen der Zonis geh'n Euch auch nichts an. Wenn es unser Interesse gewesen wäre, die Adressen zu kriegen, hätten wir sie uns schon geholt. Mit diesem Verein haben wir bessere Erfahrungen als Ihr. (...)

Hans, Brandenburg/DDR

(...) Diese Adressen hätten so nicht veröffentlicht werden dürfen!

Scheinbar ist in der westberliner taz-Redaktion niemand in der Lage, einen Artikel aus sauber recherchierten Informationen zu erfassen, der das hätte leisten können, was eine Adressenliste nicht kann, nämlich „Material für die konkrete Debatte um die Vergangenheit der DDR“ zu liefern. Statt dessen fährt die taz mit einer perversen Promotion -Aktion am Alex auf, und die Persönlichkeitsrechte der betroffenen DDR-BürgerInnen werden mit Füßen getreten! (...)

Fachschaftsini Publizistik an der FU Berlin