Was wiegt ein Ministerwort aus dem Wahlkampf?

Gar nichts, müssen jetzt iranische Flüchtlingskinder und ihre Betreuer in Nordrhein-Westfalen erfahren / Schnoor sieht die Lage jetzt anders  ■  Aus Münster Werner Paczian

„Wieviel zählt ein Ministerwort nach der Wahl?“ fragte sich monatelang der iranische Student Saeed Samar. Im Fall des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Schnoor (SPD) wenig, weiß Saeed heute. Der 32jährige kämpft für mehr Rechte von iranischen Jugendlichen aus dem Münsterland, die als Kinder vor dem Golfkrieg in die Bundesrepublik geflohen waren. Seitdem leben sie mit jeweils befristeten Aufenthaltsduldungen, ihre Zukunft ist damit völlig ungewiß.

Saeed Samar, selbst Vormund eines iranischen Flüchtlingskindes, fordert für die Betroffenen einen Status, der ihnen eine sichere Aufenthaltserlaubnis garantiert. „Rechtlich hätte Schnoor die Möglichkeit, so etwas zu machen“, meint Volker Hügel von der „Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender“ (GGUA). „Denkbar wäre zum Beispiel eine Anerkennung im Sinne der Genfer Flüchlingskommission, was ein unbefristetes Bleiberecht zur Folge hätte.“

Anfang September letzten Jahres durfte Saeeds iranische Gruppe überraschend hoffen. Minister Schnoor war zu einer Diskussion in das Ausländerzentrum der Uni Münster geeilt. Dort konfrontierten ihn die Flüchtlinge mit einer Erklärung. „Viele Jungendliche, die als Kindersoldaten über die Minenfelder laufen mußten, sind tot oder verkrüppelt. Viele Länder, auch Deutschland, haben von diesem Krieg profitiert, nur das iranische Volk nicht“, klagten sie und forderten vom Minister einen sicheren Status. Das zog: Medienwirksam versprach Schnoor, sich persönlich für das Schicksal der Gruppe einzusetzen. Schließlich standen die Kommunalwahlen vor der Tür.

Das persönliche Engagement des Ministers hieß jedoch monatelang Nichtstun, jetzt trudelte - „in Vertretung“ - ein ablehnendes Beamtenschreiben in Münster ein: „Zu einer generellen Regelung, nach der iranische Schüler unabhängig von der Dauer ihre Aufenthaltes eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sehe ich mich leider außerstande.“ Saeed Samar versuchte gut zwei Dutzend Mal, Konkreteres von Schnoor zu erfahren - vergeblich. Selbst der 1987 in NRW verfügte „Iran -Erlaß“, der eine befristete Duldung als sogenannte De-facto -Flüchtlinge sicherstellt, wankt inzwischen. Wegen des Waffenstillstandes zwischen dem Iran und dem Irak sei eine veränderte Situation eingetreten, schreibt der Ministervertreter. „Ich werde daher prüfen, inwieweit der Iran-Erlaß zu modifizieren sein wird.“

Der Fall aus Münster ist symptomatisch für die Situation iranischer Flüchtlingskinder in der Bundesrepublik. Allein über den Frankfurter Flughafen sind während des Golfkrieges rund 1.500 Jungen und Mädchen meist ohne elterliche Begleitung vor dem drohenden Tod geflohen. Wie viele über den Landweg gekommen sind, ist ungewiß - genauso wie ihre Zukunft. Sie alle werden bestenfalls geduldet. Reisebeschränkung, fehlende Schulpflicht und mögliche Nachteile bei der Suche nach Ausbildungspltäzen sind die Folge. „Hinzu kommt der psychische Streß, die Angst, morgen vielleicht schon abgeschoben zu werden“, weiß Volker Hügel.

Sobald die Geflohenen das 16. Lebensjahr erreicht haben, drängt man sie in ein Asylverfahren - obwohl die Chancen auf Anerkennung fast aussichtslos sind. Der Grund: Kaum ein als Kind dem Krieg entronnener Flüchtling kann direkte politische Verfolgung nachweisen. Ebensowenig wie gegen das Mullah-Regime gerichtete Aktivitäten, die eine Verfolgung in der Heimat vermuten lassen. Für das iranische Regime gelten solche Kinder trotzdem als Deserteure.

„Bei iranischen Jugendlichen liegt die Anerkennungsquote unter zehn Prozent“, berichtet ein Vertreter der Arbeiterwohlfahrt Frankfurt. Nicht selten werden die Asylanträge zum Roulettspiel, weil - je nach Bundesland die Gerichte völlig unterschiedlich urteilen. Einigkeit besteht allein in einem Punkt: Wer aus Angst, auf den Minenfeldern zerfetzt zu werden, vor dem Kriegsdienst geflohen ist, hat bei uns längst keinen Anspruch auf politisches Asyl. Dabei wissen bundesdeutsche Gerichte und Politiker spätestens seit 1988, was tatsächlich im Golfkrieg ablief. In dem Buch Ich habe keine Tränen mehr (rororo aktuell) schildert der damals 13jährige Reza Behrouzi, wie er mit Tausenden anderen Kindern auf die Minenfelder Chusistans getrieben wurde. In wenigen Monaten wurden über 7.000 von ihnen getötet und hatten damit der regulären Armee freie Bahn für eine Gegenoffensive geschaffen.