Entsorgung im Paradies

■ Beseitigungsplan der US-Armee: technisch unausgegoren und politisch problematisch

Nur eine Woche vor dem geplanten Abtransport von 102.000 Giftgasgranaten mit 435 Tonnen hochgiftigen Nervengases aus dem Lager Clausen haben Techniker am Bestimmungsort des pazifischen Johnston Atolls noch nicht eine einzige Granate erfolgreich durch einen der vier Verbrennungsöfen geschoben. Die US-Armee verstößt dabei seit Monaten penetrant gegen die Auflagen der verschiedenen Kongreßausschüsse, die für die Mittelbewilligung des Chemiewaffen-Transports und für die demokratische Kontrolle der C-Waffen-Entsorgung verantwortlich sind. Doch nicht einer der Kongreßabgeordneten, die sich in der Vergangenheit recht kritisch über die Transport- und Vernichtungspläne der Nervengase Sarin (GB) und VX ausgesprochen hatten, scheint heute noch an den Umständen des umstrittenen Giftgastransports interessiert zu sein. Wie die politisch zuständigen Behörden in der BRD wollen auch die US -Abgeordneten die Giftgas-Artillerie so schnell wie möglich aus dem eigenen Sichtkreis in die „Dritte Welt“ verschwinden sehen. Denn wenn die US-Bevölkerung erst einmal mitbekommt, wie unausgereift die Zerstörungstechnologie noch ist, könnte sich der gesamte Entsorgungsplan - der ähnliche Vernichtungsanlagen wie auf dem Pazifik-Atoll auch auf dem Festland der USA vorsieht - aufgrund von Anwohnerprotesten als undurchführbar erweisen.

Die unziemliche Hatz beim Abtransport geht auf Versprechen Ronald Reagans aus dem Jahre 1986 zurück, seinem konservativem Geistesverwandten Kohl den C-Waffen-Abzug noch vor den Wahlen im Dezember 1990 zu bescheren. Seitdem die Bush-Administration den Transportzeitraum für das Gebiet der BRD auf Anfang Juli bis Ende September festgelegt hat, gerät die US-Armee mit ihrem Entsorgungsfahrplan in der Pilotverbrennungsanlage auf dem Johnston-Atoll immer mehr ins Hintertreffen. Ursprünglich sollten die Testversuche für das „Operation Verification Testing“ (OVT) insgesamt 16 Monate in Anspruch nehmen.

Durchführung ohne Test

Als sich dieser Zeitplan als unrealistisch herausstellte, knüpfte der Bewilligungsausschuß für Verteidigungsfragen im Repräsentantenhaus im Frühjahr seine weitere Mittelvergabe für den Giftgastransport an eine „erfolgreiche Zerstörung scharfer Chemiewaffen“ in den Verbrennungsöfen des Johnston Atolls. Doch als der US-Army im Mai das Geld für die Ausstattung der Spezialschiffe zum C-Waffen-Transport ausging, bewilligte der Kongreßausschuß die restlichen 10 Mio. Dollar, auch ohne auf der Durchführung der vollständigen Tests zu bestehen. In einem geheimen Hearing bestand der Kongreßausschuß schließlich auf der Zerstörung von mindestens 800 Munitionsrunden, ehe mit dem Transport vom Lager Clausen zur Verbrennungsanlage auf das Johnston Atoll begonnen werden dürfe. Der taz gegenüber erklärte Armeesprecher Major Joe Padilla jedoch, es sei „allein Sache der US-Army, darüber zu entscheiden, wie lange und wie viel Giftgas-Munition zerstört werden müsse“, ehe Verteidigungsminister Cheney das für den legalen Abtransport aus Clausen notwendige „Zertifikat“ ausstellen werde. Informationen der taz zufolge ist mit der ersten vollständigen Munitionsverbrennung nicht mehr vor Mitte Juli zu rechnen. Dies würde eine Verzögerung des Abtransports aus Clausen zur Folge haben - vorausgesetzt der Kongreß besteht auf einer legalen Durchführung des C-Waffen-Transports nach US-Recht.

Der demokratische Kongreßabgeordnete John P. Murtha, Vorsitzender des Bewilligungsausschusses für Verteidigung im Repräsentantenhaus, wird jedoch seinerseits dem Abzug nichts mehr in den Weg legen. In einem Deal mit der Bush -Administration bekam Murtha für die bereits erwähnte Bewilligung der Transportgelder seinerseits Finanzmittel für eine Versuchsreihe mit der alternativen Vernichtungstechnologie „Cryofracture“ zugesprochen. Cryofracture - bei der die einzelnen chemischen Elemente nicht einzeln verbrannt, sondern zusammen in einem Stickstoffbad gefroren und dann komplett verbrannt werden wird von Murtha, einigen Kollegen und dem Konzern „General Atomics“ als neue, angeblich sicherere Entsorgungstechnik angeboten. Vor allem den C-Waffenexperten der Sowjetunion, die gegenwärtig in den USA in Sachen Verbrennungstechnologie auf dem Einkaufstrip sind, hofft man Cryofracture verkaufen zu können. Nach dieser erfolgreichen Lobby wird Murtha jetzt in Sachen C-Waffen-Abzug stillhalten müssen.

Der republikanische Kongreßabgeordnete Larry J. Hopkins hat dagegen ganz andere Gründe, warum er das C-Waffen -Vernichtungsprogramm Jacads auf dem Pazifik-Atoll nicht durch sein Eintreten für einen Abzugsstopp aus Clausen ins Gerede bringen will. Hopkins hat längst erkannt, daß die zur Zerstörung der gesamten amerikanischen C-Waffenbestände von 30.000 Tonnen auf dem Johnston Atoll und acht ähnlichen Verbrennungsanlagen auf dem Festland der USA mit den bereitstehenden 5 Mrd. Dollar (das wären 150.000 Dollar pro Tonne) nicht zu bewerkstelligen sein wird. Da die kleinste der noch geplanten Verbrennungsanlagen ausgerechnet in Hopkins Wahlkreis in Kentucky liegt, hofft er, die C -Waffenvernichtung auf die Öfen des Johnston Atolls konzentrieren zu können.

Mit seinen beiden führenden Figuren, in Sachen C-Waffen zum Stillhalten verpflichtet, wird der US-Kongreß den von der Bush Administration durchgezogenen C-Waffenabtransport nicht mehr verhindern. Nicht Sicherheitskriterien oder eine rationale Diskussion der verschiedenen Entsorgungsmöglichkeiten, sondern ein Deal zwischen den konservativen Regierungen in Bonn und Washington sowie der politische Opportunismus von Parlamentariern in beiden Ländern haben am Ende über den gefährlichsten Giftgastransport aller Zeiten entschieden. Rolf Paasc

(unter Mitarbeit von Jane Callen