Der Automarkt ist leergefegt

■ Der Boom im Gebrauchtwagenmarkt ist dank der Sehnsucht der Ostler nach Westautos angebrochen / Steigende Preis ab 1. Juli / Banken gehen mit Krediten hausieren / Betrüger und Abkassierer am Werke

Berlin. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Diese alte Weisheit des Genossen Lenin wird wie viele andere auch in der DDR nur noch müde belächelt. Für das genaue Gegenteil aber können sich vor allem die Männer sehr wohl begeistern. Ihre starken Arme nämlich sehnen sich danach, neue Räder made in Mercedesland zu lenken. Achtzig Prozent des rasenden Geschlechts wollen sich, so weiß es der 'Spiegel‘, nach der sommerlichen Ostmarkmutation einen neuen Wagen kaufen. Da Wartburg, Trabant und Skoda ihren stinkenden Dienst bis zum öffentlichen Erbrechen getan haben, stürmen die neuen Männer ins neue Land und verhelfen der Gebrauchtwagenbranche zu einem großen Boom.

Nach dem Aufschluß im November konnten den Unwissenden aus dem Autoentwicklungsland noch jeder Mist angedreht werden. Einen TÜV gibt es in der DDR nicht. So hatten auch die eine Chance, die schon dachten, ihren alten Daimler wegen abgelaufenen TÜVs verschrotten zu müssen, ihn für 500 Westmark oder 1.500 Ostmark einem Ostler anzudrehen. Mit der Zeit aber sind die DDRler anspruchsvoller geworden. Vor allem äußerlich müssen die Wagen schön sein. Mit der Zahl der Interessenten sind die Preise in Berlin stark gestiegen. Viele Gelegenheitsverkäufer bringen aufgepeppte Wagen aus noch ostlerfreien Zonen in Wessiland hier her, um sie mit einem durchschnittlichen Aufpreis von 1.000 bis 2.000 Mark, von Privat-West an Privat-Ost zu verkaufen. Da im Anzeigenblatt 'Zweite Hand‘ pro Verkäufer nur zwei Wagen kostenlos angeboten werden dürfen, wird mit Vorliebe im Ostberliner Blatt 'Der heiße Draht‘ inseriert. Kommt ein Geschäft zustande, muß der Käufer-Ost seine roten Nummernschilder zum Verkäufer-West mitbringen, sie beim hier abgemeldeten Wagen anschrauben, an der Grenze eine Zollbescheinigung entgegennehmen und dann so schnell wie möglich die Zolleinfuhrgebühren zwischen einer und drei Mark pro Kubik entrichten. Aber die Zeiten des artigen Gehorsams sind in der DDR bekanntlich vorbei. Um auf dem Rückweg an der Grenze mit seinem neuen Wagen gar nicht erst aufzufallen, schraubt der einfallsreiche Ostler einfach sein Trabinummernschild an den neuen Golf, und der Zoll hat wegen Nichterkennens die lange Nase. Zu Hause stellt er das Fahrzeug in die Garage und wartet bis zum 1.Juli, an dem die Zollgebühren mangels Ausland dann entfallen.

Die professionelle Gebrauchtwagenbranche arbeitet dagegen mit noch größeren Gewinnspannen. Seit Ende Mai haben sich die Banken entschlossen, den DDRlern den Traum vom Westwagen vorzufinanzieren. „Heute kaufen, morgen losfahren, im Juli bezahlen“, locken seitdem die Händler. Mit Erfolg, wie eine Rundfrage bestätigt. Beim Westberliner BMW-Händler Riller und Schnauck ist „ein BMW für 10.000 Mark“ nicht mehr zu haben: „Alles leergefegt.“ Im Schnitt stehen die Autos ein bis zwei Tage. Beim „Lada-Vertrieb“ auch keine Chance: „Gebrauchtwagen haben wir schon seit Dezember keine mehr.“ Die Dame von „Fa. Maria und Josef“, die jedesmal in der 'Zweiten Hand‘ inserieren, mahnt zum sofortigen Vorbeikommen. „Zwar ist jetzt schon alles teurer, aber im Juli gehen die Preise noch einmal in die Höhe.“

Zum Kauf eines Wagens auf Kredit braucht der DDR-Bürger nur seinen Ausweis und eine Lohnbescheinigung. Zwanzig Prozent Anzahlung, „aber keine Angst, erst am 15.Juli“. Die Zinsen betragen in der Regel ungefähr 15 Prozent, manchmal auch 18, aber dann „natürlich mit Bearbeitung“. Vorsicht ist allemal geboten. Ein Westberliner zum Beispiel bot Neuwagen zum halben Preis an, kassierte 50 Prozent als Anzahlung und wurde erst wieder gesehen, als die Polizei seiner habhaft wurde. Wer für seinen Sommertrip noch einen billigen, guten Wagen finden will, der wird es in dieser Saison schwer haben. Er muß dann entweder die Reisekasse kürzen und beim Wagen draufzahlen oder die Bahn benutzen. Die Branche setzt auf steigende Preise ab dem 1. Juli. Eine Tendenz, die auch in der 'Zweiten Hand‘ sichtbar ist. Wer jedes Risiko ausschließen will und lieber gleich einen Neuwagen möchte, der muß jetzt mit einer Wartezeit von drei Monaten rechnen. Die sind zwar nichts im Vergleich zu den zwölf Jahren in „Trabicounty“, aber was nicht ist, kann ja noch werden: Experten rechnen mit einem zusätzlichen Bedarf von drei Millionen Nebelwerfern der bis dato unbefriedigten DDR -Bürger.

Torsten Preuß