Neue Mauer an der Oder-Grenze

■ Für eine kurze Übergangsfrist bleibt alles beim alten, dann wird für die Polen die Visumpflicht der BRD gelten / Zweiklassenrecht für die „Osteuropäer“? / Bundesregierung will „sicherheitspolitisches Netzwerk“ spannen / Fahndungsunion von Innenministern vorangetrieben

Berlin (taz) - Trotz gegenteiliger Zusicherungen der DDR -Regierung ist die Gefahr nicht gebannt, daß nach der Aufhebung der innerdeutschen Grenzkontrollen „die Mauer an die Oder verlagert wird“. Besonders für polnische Bürger ist die Rechtslage nach wie vor ungeklärt. Aus dem DDR -Außenministerium verlautete, zum Stichtag 1.Juli würde sich überhaupt nichts ändern. Das bedeutet, daß Polen resp. Rumänen, die in die BRD reisen wollen, ein zeit- und geldverschlingendes Visum benötigen, Besucher der DDR brauchen eine von der Volkspolizei abgestempelte Einladung, während Westberlinreisende aufgrund einer alliierten Verfügung aus den 60er Jahren sich 30 Tage ohne Formalitäten in der Stadt aufhalten dürfen. Die Bundesregierung hat bereits klargemacht, daß sie auf Aufhebung des alliierten Erlasses und der Einladungsregelung der DDR drängt. Formell wird diese Politik damit begründet, daß die DDR die Verpflichtungen aus dem Schengener Abkommen übernommen habe, mithin als Außengrenze der Teilnehmerstaaten dieses Abkommens (BRD, BeNeLux, Frankreich) funktionieren muß. Das bedeutet, daß Reisende, die bisher visafrei in die DDR reisen konnten, nach Inkrafttreten des Abkommens ein Visum benötigen, wenn es für sie im „Schengener Bereich“ besteht. In den noch laufenden Auseinandersetzungen nimmt der Westberliner Senat eine widersprüchliche Stellung ein. Einerseits tritt er für einheitliche Regelungen ein, d.h. in der Praxis für die Aufhebung der Westberliner und DDR -Bestimmungen, andererseits befürwortet er „liberale Regelungen“, d.h. die Aufhebung des Visumzwangs oder wenigstens den Wegfall der Devisen-Mindestsumme für Reisende. Die Westalliierten schließlich haben deutlich gemacht, daß sie in der Frage des Berlin-Erlasses für osteuropäische Reisende nichts ohne und gegen die Bundesregierung unternehmen werden. Daraus kann nur geschlossen werden, daß sie zu dem Zeitpunkt den Erlaß aufheben werden, der der Bundesregierung am günstigsten erscheint - also bald. Sollte sich die Bundesregierung mit ihren Vorstellungen durchsetzen, so wäre eine Aufteilung der Ost- bzw. Ostmitteleuropäer in zwei „Klassen“ die Folge. Auf er einen Seite stünden die Bürger der CSFR und Ungarns, die im „Schengener Raum“ und darüber hinaus in der EG visumfrei reisen dürften, auf der anderen die Polen und Rumänen. Eine solche diskriminierende Behandlung würde sich nahtlos in eine Politik einfügen, die im ehemals sozialistischen Osteuropa zwischen entwicklungsfähigen Staaten und solchen, die man auf das Niveau der Dritten Welt absacken läßt, unterscheidet. Die schon angekündigte Visumpflicht für Bürger Kubas, Vietnams und der Mongolei verschlechtert weiter die Lage der in der DDR arbeitenden Menschen dieser Nationalitäten, behindert sie doch den Zuzug von Verwandten und Freunden. Auch ist ungeklärt, ob die Regelung, nach der sich „rechtmäßig“ in der DDR aufhaltende ausländische Bürger drei Monate visafrei in die BRD reisen dürfen, auch für Nichteuropäer gilt.

So schwierig die Visafrage, so einfach scheint das grenzüberschreitende Fahndungsproblem. Auf der gestrigen Innenministerkonferenz, an der auch DDR-Vertreter teilnahmen, einigte man sich auf die Schaffung eines „sicherheitspolitischen Netzes“ in beiden Staaten.

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