Witze

■ Was der Jockel von Biberach mit der deutschen (Gem)Einheit im Gelde zu schaffe hat

Es war im Zug von Berlin nach Bremen. Da traf ein alter Schwabe aus Schorndorf im schwäbischen Remstal auf eine jüngere Bremerin, plinkerte ihr wohlgefällig zu und begann, weil noch drei andere Schwaben zusahen und viel mehr als Plinkern schlecht möglich war, einen Witz zu erzählen. Vom Jockel aus Biberach, welches, wie der Schorndorfer Protestant der Bremer Ex-Protestantin dazusagte, tiefschwarz, also katholisch ist.

Der Jockel traf also in Biberach ein Mädle auf dem Bahnhof, das hatte kein Zimmer, wo es bleiben und schlafen konnte. Der Jockel half ihr, fand aber keins, wahrscheinlich war da grad Protestantentag in der Stadt - und bot ihr also seines an, in dem grad ein Bett frei war. Er würde ihr auch gar nichts tun, ja, zu ihrer Sicherheit sich nicht mal auskleiden während der Nacht. Das Mädle nahm das an.

Der Jockel hielt Wort, schlief natürlich kaum und hatte am Morgen zwar nicht in „Worten und Taten“ gesündigt, aber in Gedanken, wo man auch nicht soll. Als das Mädle weitergefahren war, ging der Jockel deshalb zu Hochwürden, um zu beichten. Hochwürden hörte, nickte und erlegte dem Jockel auf, zwei Eimer Wasser zu trinken. Der verstand nicht, wieso Wasser und so viel. Er sei doch kein Roß, das soviel brauche. „Nein aber ein Rindviech,“ präzisierte Hochwürden.

Nun könnte man mit dieser Geschichte in vielerlei Richtung fortfahren. Aber gestern war der 1. Juli, und heute ist der 2., wo sich die West- mit den Ostdeutschen in geldlicher Hinsicht vereinigt haben, eine Hinsicht, die alle weiteren Hinsichten nach sich ziehen wird, bzw. vorwegnimmt. Deshalb interessiert uns heute die protestantische Erzählung über den katholischen Jockel von Biberach unter der Frage des Sich-näher-Rückens von einander Fremden bis Feindseligen. Denn nachdem der Kalte Krieg plötzlich zu Ende ging mit all den merkwürdigen Mythen über das jeweilige Reich des Bösen auf der anderen Seite, steht man sich auf einmal furchtbar nah. Und beginnt, Geschichten zu erzählen, sehr vorsichtig noch, hinter vorgehaltener Hand, wie die da auf der andern Seite nun wirklich sind. Z.B., daß die im Osten faul sind und Schnorrer und erst mal arbeiten bzw. demokratisches Verhalten lernen sollen, ehe sie uns hier mit ihren nimmersatten Wünschen und Gemeinsamkeiten behelligen. Und daß die im Westen doch irgendwie ganz anders sind, als man bis zum 10. November gedacht hat, so überheblich und hart und oberflächlich und nichts anderes wollen, als die im Osten unterzubuttern und über den Tisch zu ziehen. Kurzum, die große Fremdheit, die die anderen als bedrohliche Fremde sieht, passiges Bild- und Mythenmaterial incl., das setzt durch die plötzliche Nähe erst so richtig ein.

Da hilft doch die Erinnerung an die große Fremdheit zwischen Katholen und Protestanten. Da schlagen immerhin 300 Jahre nach Glaubenskriegsende Protestanten ihren Witz aus der beichtgeförderten Verbotssexualität, also aus dem, was sie meinen, daß ihre Mangel sie von den anderen unterscheidet. Uta Stolle