ZWISCHEN DEN RILLEN

VON FRANK HILBERG

The Quartet is one of my best Kampfmusiken, as one called it so most schrecklicherweise in Germany. Es ist populism, and my personal human radicalism, mit offenen Armen gesungen.“

Seltsam, diese Aussage eines Komponisten über das eigene Stück. Die kantig harten Worte „Kampfmusiken“, „schrecklicherweise“ fallen regelrecht aus dem Text heraus. Erst der lyrische Klang von „mit offenen Armen gesungen“ glättet den rauhen Tonfall. In der Verquickung der Sprachen und der Gegensätzlichkeiten von Rauheit und Innigkeit spiegelt sich die Situation eines Komponisten, der sich in vielen Sprachen aufgehalten und am Ende doch seine Muttersprache vermißt hat. Der da polyglott redet, ist Stefan Wolpe, dessen Biographie von der Emigration und der Suche nach einer kulturellen Identität bestimmt ist und dessen Werk von dieser Suche beredtes Zeugnis ablegt.

Bedingt durch die gewaltsame Entwurzelung aus dem europäischen Musikleben und den vergeblichen Versuchen, nach dem Krieg in Deutschland erneut eine musikalische Heimat zu finden, sind seine Werke so gut wie unbekannt geblieben.

Anhand zweier CDs läßt sich nun eine Spur durch das Schaffen Wolpes aufnehmen. Eine der Discs enthält Solo -Klaviermusik, gespielt von Geoffrey Douglas Madge, die andere stellt Kammermusik verschiedener Besetzungen zwischen Duo und Quartett vor. Beide Platten geben einen Einblick in die Formenvielfalt von Wolpes Komponieren.

Die Klavierstücke Tango, Tag-Caprice, Marche caracteristique undStehende Musik vermittelt vermitteln einen Eindruck von der Gestimmtheit der 20er Jahre, die Wolpe in Berlin erlebte. Sie sind wesentlich von den vielfältigen Einflüssen der Musik aus den Cabarets, der politischen Veranstaltungen und der dadaistischen Soireen geprägt. Diese musikalischen Idiome werden von Wolpe aufgegriffen, in ihrer Fragwürdigkeit und Brüchigkeit kritisiert und verarbeitet. Der Pianist Geoffrey Madge stellt denn auch nicht die vordergründig wilde Gebärde heraus, sondern spürt die Gebrochenheit und tieferliegenden Stimmungen auf, das Launische im Rag-Caprice, das resignativ Zweifelnde im Tango etwa.

Nach seiner Flucht vor den Nazis (Wolpe ist Jude, Kommunist und Neutöner zugleich) entstehen die großen Klavierstücke Passacaglia (1936), Toccata (1941) und Battle Piece (1943-47). Es sind monumentale Werke, die dem Pianisten ein Höchstmaß an Kraft und Elastizität abfordern. Das kompositorische Prinzip der Variation geht hier mit hypertropher Polyphonie eine eindrucksvolle Hochzeit ein. Hier gelingt es Madge mit beeindruckend leichter Hand, zugleich den Rahmen der Stücke bündig zu umreißen und die einzelnen Figuren vielfältig abzustufen, ohne die Fäden zu verlieren.

Der anfangs zitierte Ausspruch Wolpes bezieht sich auf das Quartett für Trompete, Tenorsaxophon, Schlagzeug und Klavier (1950). Es greift einige Momente früherer Kompositionen auf - „Kampfmusik„-Jargon, Jazzvokabular etwa

-integriert sie aber kompositorisch so homogen, daß ihre Eigenheit zugunsten nachdrücklicher Spannungen zurücktritt. Die Mitglieder des ensemble avance vermitteln die Intensität der treibenden Figuren ebenso überzeugend wie die schwebenden Ruhepunkte.

Music for any instruments (1944-49) ist eine Sammlung von Kontrapunktstudien. Eine Instrumentation ist nicht näher bezeichnet. Obwohl viele der Stücke Kanons sind, also nach strengsten Regeln zusammengefügt, verschwindet ihre konstruierte Natur. Die Stimmen laufen mal voreinander, mal hintereinander her, treiben sich gegenseitig an oder bremsen einander. Sie hüpfen in oft riesigen Sprüngen durch den Tonraum, prallen aufeinander, vibrieren. Interessant ist, daß die Stücke mit dem Untertitel Displaces Spaces, Shocks, Negations, A New Sort of Relationship in Space, Pattern, Tempo, Diversity of Actions, Interactions and Intensities auf beiden Platten vertreten sind, einmal als Klavierfassung und in einer Fassung für zwei Klarinetten.

Beim Klavier ist jeder forcierte Einzelton ein Akzent, eine kleine Attacke. Um einen eher gesanglich fließenden Ausdruck zu erreichen, nimmt Geoffrey Douglas Madge die Dynamik zurück und zeichnet im Leisen die Konturen der Einzelstimmen nach. Er gewinnt dadurch einen Nuancenreichtum, der es ihm ermöglicht, die intervallischen Linien auszuziehen. Mit faszinierend sicherer Tongebung entstehen ausgeformte und abgezirkelte Spannungsbögen, die souverän nebeneinander bestehen.

Die beiden Klarinettisten David Smeyers und Beate Zelinsky stellen einen dynamisch drängenderen Duktus heraus. Mit voluminösem Ton und energischer Phrasierung spielen sie die ganze Klarinettenfamilie - von der Kontrabass- bis zur Piccoloklarinette (die Stimmen haben teilweise einen Ambitus von mehr als vier Oktaven) - aus. Durch die Darstellung mit unterschiedlichen Instrumenten zeigt sich, welche Bandbreite von Charakterisierungen die Stücke zulassen und welches Potential an Interpretation durch die Offenlassung der Instrumentierung frei wird.

Wolpe war in New York mit den einflußreichsten Malern des abstrakten Expressionismus befreundet. Nicht von ungefähr lassen sich die Seven Pieces for three Pianos unter dem Gesichtspunkt des Malerischen oder Graphischen betrachten. Durch die drei Klaviere wird ein Raum aufgespannt, in dem sich die musikalischen Ereignisse nach Nähe und Ferne unterscheiden lassen. Das ist klangtechnisch auf der CD erstaunlich gut gelöst. Die Klaviere verschmelzen nicht zu einem flächigen Klangpanorama, sondern sind stets exakt im Hörraum zu lokalisieren. Einzelpunkte und kurze Linien breiten sich zwischen Vorder- und Hintergrund, zwischen Rechts und Links aus. Die einzelnen, im Raum verteilten Töne gehören zu einer Geste; vergleichbar dem Tropfstil Jackson Pollocks, der die Farbe in Tropfen und Fäden verteilt und dennoch mit einem Schwung aufträgt. Von dem Klaviertrio Williams/Williamson/Ball wird diese Raumkomposition in wünschenswerter Deutlichkeit dargestellt.

Stefan Wolpe - Piano Music

gespielt von Geoffrey Douglas Madge

classic produktion osnabrück,

Ackerstr. 59, 4500 Osnabrück

cpo 999 055-2

Stefan Wolpe - music for any instruments

gespielt von Mitgliedern des ensemble avance und den Pianisten Williams/Williamson/Ball

col legno 429 357-2 ONE OF MY BEST KAMPFMUSIKEN