Explizite Sprache enthalten

■ Hip-Hop-Musik wird in den USA von der „Moral Majority“ zusehends unterdrückt

Jüngst wurde die neueste Rap-Platte der „2 Live Crew“ verboten

Von Rolf Paasch

Allein in seiner Musik“, so schrieb James Baldwin, „hat der Negro in Amerika seine Geschichte erzählen können.“ Und auch das soll jetzt nicht mehr gehen. In Florida hat Anfang Juni ein Richter die neueste Rap-LP der Gruppe „2 Live Crew“ für „obszön“ erklärt und verboten. Die explizit sexuellen Texte des Doppelalbums „As nasty as they wanna be“ hätten keinerlei „künstlerischen Wert“ urteilte der Richter. Der Sheriff von Broward County, wo sich an den Gestaden Floridas die Pornoshops nur so aneinanderreihen, schritt daraufhin gleich zur Tat. Nachdem ein Undercover-Polizist in Charles Freemans „E.C. Records„-Laden die Platte erstanden hatte, wurde der Besitzer gleich in Handschellen abgeführt. Nur zwei Tage später wurden die beiden Mitglieder der „2 Live Crew“ nach der Livevorstellung ihrer Rapshow vor 400 erwachsenen Zuhörern (und 30 Zivilpolizisten) ebenfalls festgenommen. Sie hatten es trotz der Drohungen des Sheriffs gewagt, auf der Bühne die unzensierte Fassung ihres Songs „Me so horny“ (Ich bin so scharf) anzuspielen, dessen gereinigte Version bis auf Platz vierzig der Hitparade aufgestiegen war.

Jeweils auf Kaution freigelassen, drohen dem Schallplattenhändler aus Fort Lauderdale und Musikern der „2 Live Crew“ nun eine einjährige Haftstrafe und eine Geldbuße von bis zu 1.000 Dollar. Der in den USA schon historische Kampf zwischen den selbsternannten Saubermännern der vermeintlichen „Moral Majority“ und den im ungezügelten Kapitalismus immer hemmungsloseren Entertainern ist mit diesem bisher einmaligen Verbot eines anzüglichen Musiktextes wohl in eine neue Phase getreten. Und diesmal ist die juristisch-musikalische Konfrontation dazu noch voller rassistischer Untertöne. Nicht nur die Gruppe „2 Live Crew“ stehe hier unter Anklage, so ein Musikkritiker, sondern „schwarze Ausdrucksformen als solche“.

Gut, sie wollen also so anzüglich wie möglich sein, die „2 Live Crew“ des Leadsängers Luther Campbell: As nasty as they wanna be eben. Der Beat des tanzbaren Doppelalbums ist so hart, wie das männliche Sexualorgan, das in den darübergelegten Zeilen gefeiert wird. Die verschachtelten und „verscratchten“ Rhythmen variieren vom Reggae über den Blus bis hin zu Heavy-Metal-Anleihen. Die begleitende Pseudopoesie wird dagegen schon nach zehn Minuten öde und langweilig: nach dem zigfach wiederholten Motto: „Bitch, suck it all nite!“ Meist sind die Schlüpfrigkeiten allzu platt. Nur gelegentlich flackert ein Funken der schnellzüngigen Originalität auf, die den Rap zu einer hochkarätigen schwarzen Ausdrucksform hat werden lassen: Wenn etwa in dem Titel „My seven bizzos“ zu den Gitarrenklängen von Jimi Hendrix „Purple Haze“ der Sex besungen, oder mit „Does it taste good? Less filling“, ein populäres Bier-Commercial persifliert wird. Doch gegen de Sade haben die „2 Live Crew“ schweinisch wie künstlerisch nichts zu bestellen. Der Hip Hop bietet mit den Gruppen „Ice T“, „Niggers with Attitudes“, „Public Enemy“ und „Poison Clan“ treffsicherere Texte als in dieser postpubertären Phallus-Posse der Band aus Miami.

Dennoch, das „First Amendment“, das in der amerikanischen Verfassung die Redefreiheit garantiert und auf das sich die „2 Live Crew“ in ihrem Verfahren vergeblich bezog, sollte auch so schlechte und frauenfeindliche Texte wie die des umstrittenen Rap-Duos schützen. Der Richter dagegen berief sich erstmalig bei einer musikalischen Komposition auf eine Obszönitätsdefinition des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahre 1973. Auf die Frage, warum denn der nicht minder sexistische, homophobe und misogyne weiße Komiker Andrew Dice Clay vor zwei Wochen ganz ungehindert im Fernsehen auftreten konnte, antwortete der Sheriff Navarro: Dagegen habe sich eben noch niemand beschwert. Doch die Ankläger wenden bei der Strafverfolgung von „As nasty...“ nicht nur einen schwarzweißen Doppelstandard an; sie messen auch schwarze Ausdrucksformen mit den Kriterien einer weißen Kultur- und Sexualkritik. Auch dies hat Tradition. Am Anfang waren es vor allem die weißen Prediger des amerikanischen Südens, die gegen sexuelle Anspielungen im frühen Blues zu Felde zogen. Dann waren es die „Dschungelrhythmen“ Chuck Berrys und die laszive Gitarrenakrobatik eines Jimi Hendrix, vor denen die aufgebrachten Eltern weißer Middle-class-kids warnten. Und in den Achtzigern schließlich zog Prince den moralischen Zorn der puritanischen Kontrolleure auf sich.

Seitdem vertreibt die Schallplattenindustrie ihrere anrüchigeren Produkte mit einer freiwilligen „Gesundheitswarnung“. Der Spruch: „Vorsicht - explizite Sprache enthalten“ schmückt auch Platte und Kassette des fast zei Millionen Mal verkauften Doppelalbums der „2 Live Crew“. Darunter blicken die Porträts von vier schwarzer goldkettenbehangenen Typen zwischen den gespreizten Beinen von kaum bekleideten Strandschönheiten hindurch.

Ist dieses Cover auch im Rahmen des rassenübergreifenden Sexismus noch akzeptabel, so hört spätestens bei den sprachlich grotesken Beschreibungen sexueller Akte das Verständnis der weißen Sittenwächter auf. Die Doppel- oder Umkehrbedeutung vieler Wörter und Idiome des schwarzen Slangs ist dem juristischen Establishment grundsätzlich unbekannt. Die Fehlinterpretation einer Äußerung des in Washington wegen Drogenkonsum vor Gericht stehenden Bürgermeisters Marion Barry hätte seinen Prozeß beinahe entscheidend beeinflußt. Barry hatte gegenüber einer Undercover-Polizistin die Formulierung „to open one's nose“ verwendet, worunter der jetzt Angeklagte in seinem schwarzen Jargon Geschlechtsverkehr, die Staatsanwaltschaft jedoch das Schnupfen von Kokain verstand.

Rap und Hip-Hop sind die Kunstprodukte dieser schwarzen Insidersprache, wobei der aufgeblasene Phallizismus, die übertriebenen Angebereien mit sexuellen Wundertaten und phantasmagorische Beschreibung von Sexualorganen ein traditioneller Bestandteil schwarzer Kultur in Amerika sind. In der juristischen Trennung von Musik und Sprache liegt ein weiteres rassenbedingtes Mißverständnis. Daß die akustischen Cartoons der „2 Live Crew“ zumindest eine versuchte Selbstkarikatur schwarzer Stereotypen in Sachen Sexualität darstellen sollen, ist den weißen Anklägern in ihrer bornierten Textexegese ebenfalls entgangen. Die Frage der Obszönität solcher Rapsongs, so formuliert es der Englischprofessor Henry Gates, der sich seit Jahren mit der Sprache der Afro-Amerikaner beschäftigt, dürfe erst dann gestellt werden, „wenn sich diejenigen, die sie beantworten wollen, mit den sprachlichen Traditionen der Afro-Amerikaner vertraut gemacht haben“.

All dies heißt nicht, daß es unter den Schwarzen Amerikas keine Meinungsverschiedenheiten über die Qualität und Legitimität der „2 Live Crew“ gäbe. Schwarze Kritiker des Rap-Duos bedauern, daß die im Hip-Hop oft verbrämte Ideologie des coolen Straßeneckennarzismus, wo der Materialismus alles und die Frauen nur willfährige Sexobjekte sind, genau die Werte reproduziert, die gegenwärtig zur (Selbst-)Zerstörung der schwarzen Unterklasse beitragen. Und auch die altehrwürdige Bürgerrechtsorganisation „National Association for the Advancement of Colored People“, die sich weiterhin für die absolute Redefreiheit einsetzt, kritisierte nach Wochen des Schweigens die Rap-LP. „Unsere kulturelle Erfahrung schließt nicht die Entwürdigung unserer Frauen, die Glorifizierung von Gewalt, abweichendes Sexualverhalten und die mutwillige Zerfledderung unserer überkommenen Sitten und Verhaltensweisen mit ein“, so NAACP-Direktor Benjamin Hooks.

Die über 1,7 Millionen meist jugendlicher Rap-Fans, die sich die „Nasty LP“ trotz ihres totalen Spielverbots auf allen kommerziellen und öffentlich rechtlichen Radiostationen gekauft haben, sehen das offenbar anders. Und auch jede schwarze (oder weiße) Frau, die abends nur fünf Minuten durch das Schwarzenghetto einer amerikanischen Großstadt wandert, weiß, daß die obszöne Sprache und Anmache vom Album der „2 Live Crew“ nur die soziale Realität schwarzen Großstadtlebens widerspiegelt. Die Rapper haben der schwarzen Unterklasse einfach aufs Maul geschaut.

Dieser Generations- und Klassenkonflikt unter den Afro -Amerikanern erinnert Professor Gates an die zwanziger Jahre. Damals hatten die progressiven politischen Führer wie W.E.B. Dubois (die fast alle aus einer noch verschwindend kleinen schwarzen Middle class stammten) die Künstlerbewegung der „Harlem Renaissance“ kritisiert, mit ihren Werken nicht genug zum politischen und sozialen Aufstieg der Schwarzen beizutragen.

So legal auch der Ausdruck von Macho-Obszönitäten zur Musik verfassungsrechtlich sein sollte, so wenig läßt sich allerdings die von den Texten reflektierte Frauenfeindlichkeit als reine Metapher abtun. Das Wort „bitch“ mag in der Sprache der schwarzen Slums eine andere Bedeutung haben, als für den weißen Sheriff in Süd-Florida. Und der sexistische Rap mag für die schwarzen Kids ein ähnlicher Ausdruck ohnmächtiger Rebellion sein, wie es in der weißen Musik der Punk war. Tatsache jedoch ist, daß die alleinerziehende Mutter in der schwarzen Bevölkerung Amerikas nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist, und daß schwarze Frauen in der von Sex und Drogen bestimmten Straßenszene Opfer eines schwarzen Machismo sind.

Mit juristischen Verboten obszöner Straßenmusik läßt sich diese Situation allerdings höchstens noch verschlimmern. Wenn ein wildgewordener Sheriff in Broward County mit seiner Strafverfolgung gezielt die weiße Angst vor dem schwarzen Mann und seiner Sexualität schürt, wird er dem Objekt seiner Zensur ohnehin nur den kommerziellen Erfolg sichern. (Die Platte ist zwar verboten, aber daran halten sich meist nur die Geschäfte in den Südstaaten, im Norden der USA kann man sie trotz des Verbots frei erstehen.) Wenn weiße Politiker des Südens nun schwarze Obszönität als Wahlkampfthema entdecken, werden die Songs des „As Nasty„-Albums erst recht zum Symbol schwarzer Rebellion. Denn letzten Endes, das verstehen auch die Fans der „2 Live Crew“, gehen der katastrophale Zustand der schwarzen Familien und der oft brutale Sexismus in der schwarzen Unterklasse auf die Erfahrung der Sklaverei und die immer noch bestehende wirtschaftliche und kulturelle Marginalisierung der Afro -Amerikaner durch jene Weißen zurück, die sich jetzt wieder zum Richter schwarzer Ausdrucksformen aufschwingen. Die Frauenfeindlichkeit in der Hip-Hop-Musik wird sich nicht durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, sondern allein durch schwarze Rapperinnen bekämpfen lassen. „Ladys first!“ singt Queen Latifah.