Sabotage in den Medien

■ Über eine gefälschte WM-Nachricht und andere Überraschungen

Als die italienischen Fußballer während der Weltmeisterschaft 1978 von der holländischen Mannschaft aus dem Wettbewerb geworfen wurden, wollten es die Fans in Italien kaum glauben. Einige Tage, nachdem die Unglücksmeldung das Land in Trauerstimmung versetzt hatte, wurde überall in Rom ein Extrablatt des 'Corriere dello Sporto‘ verteilt, das in einer riesigen Schlagzeile verkündete: „Die Spiele sind annulliert„; ein Massendoping der Holländer sei aufgedeckt worden, und das Finale sollten nun Italien und Argentinien bestreiten.

Die spontane Begeisterung über diese frohe Botschaft brachte ziemlich bald den Verkehr in ganz Rom zum Erliegen. Die Stadt träumte ihren Lieblingstraum, den überdrehten Stau; ein wenig ausgedehnter als der alltägliche, mit Gesang und Geschrei natürlich, doch eigentlich schliefen die Römer an diesem Tag nur besonders hartnäckig.

In allen anderen italienischen Städten war man am selben Morgen zur Arbeit gegangen, und bestenfalls am Abend konnte man mit einem entnervten Lächeln - wer weiß, ob über das Mißgeschick der Nationalelf oder über das euphorische Schnarchen der Hauptstadt - die Meldung von einer Falschmeldung und ihrer erstaunlichen Betäubungswirkung vernehmen. In Rom hatten die zuverlässigen Medien erst nach mehreren Stunden die Oberhand gewonnen und die lokalen Illusionen mit denen, die auf internationaler Ebene gehandelt wurden, wieder in Einklang gebracht. Danach begann der allabendliche Stau.

„Die Stadt stand still“ - unter dieser Schlagzeile, einem klassischen Slogan der italienischen Linksparteien für gelungene Streikaktionen, berichteten die großen Zeitungen am nächsten Tag von dem vertrackten Ereignis. Die gefälschte Extraausgabe des 'Corriere dello Sporto‘ war von den Redakteuren eines satirischen Wochenblattes in Umlauf gebracht worden. Bei 'Il Male‘ - das Böse, das Üble, das Kranke - verstand man sich darauf, lustigen Geschichten, sofern die Wirklichkeit sie noch nicht deutlich genug erzählt, ein wenig nachzuhelfen.

'Il Male‘ ging aus dem „Centro di diffusione di notizie arbitrarie“ - zu deutsch: „Zentrum zur Verbreitung willkürlicher Nachrichten“ - hervor, das in Italien am Ende der siebziger Jahre eine ganze Reihe von heiteren Fälschungen lancierte. Die Mitglieder des „Centro“ machten zwischen den Gläubigen des Christentums, des Sports, der Christdemokraten oder der Kommunistischen Partei nicht allzuviel Unterschied, und so handelten sie sich mit ihrem Humor jene, wie üblich übertriebenen, Vorwürfe ein „Bildung einer subversiven Vereinigung“ -, für deren Verifizierung gemeinhin schon die Tatsache der unverzüglich eingeleiteten Verfolgung ausreicht und deren strafrechtlich garantierer Vollzug zumeist in Untersuchungshaft abgesessen werden muß. Der Direktor des 'Il Male‘, Calogero Venezia, saß beispielsweise insgesamt 900 Tage ein; anderen gelang es, den Ernst der Lage rechtzeitig zu erkennen und sich ins Ausland abzusetzen.

Ausführliche Berichte über diese und andere inspirierende Sabotageaktivitäten in und mit den Massenmedien findet man in dem Buch Die zerstreute Avantgarde - Strategische Kommunikation im Italien der siebziger Jahre, geschrieben von dem Wiener Theaterwissenschaftler Klemens Gruber und bei Böhlau (Wien) 1989 verlegt. Die Fälschungen des 'Il Male‘ werden mit vielen Illustrationen, aber doch vergleichsweise kurz dokumentiert, wie auch die Aktionen der „indiani metropolitani“, der „Stadtindianer“, die beispielsweise am 17.2.1977 in Rom den kommunistischen Gewerkschaftsführer Luciano Lama mit ihrem Kriegsgeschrei von dem Gelände der besetzten Universität verjagten; was dem kommunistischen Funktionär auf der Großveranstaltung im guten nicht gelang die Räumung der Universität -, besorgte am selben Abend dann die Polizei.

Klemens Gruber legt sein Hauptaugenmerk auf die Aktivitäten des Kollektivs „A/traverso“. Im Februrar 1976 nutzte es eine im Vorjahr entstandene Lücke im italienischen Rundfunkrecht und sendete in Bologna als 'Radio Alice‘ - bis die Sendeanlage dann im März 1977 von der Polizei zerstört wurde.

„A/traverso“ - ein schwer übersetzbares Wort- und Zeichenspiel mit den Worten „quer“, „durchqueren“ und der negativen Silbe „A“: „A/Schrägstrich“ - war ein ebenso provokatives wie intellektuell anspruchsvolles Kollketiv. Gruber folgt in seinem Buch den Hinweisen, die in ihren Publikationen gegeben werden: Majakowski war einer ihrer Helden, denn er stand für die Radikalisierung im Umgang mit den Medien durch die russische Avantgarde in den zwanziger Jahren; von Artaud ließen sie sich zum Angriff auf eine intakte Sprache anleiten; und schließlich hatten sie auch die theoretische Prosa des neueren französischen Strukturalismus studiert. Leider ist von den spekulativen Formulierungen eben jener zuletzt genannten Autoren sowohl bei 'Alice‘ wie auch bei Gruber zu vieles unbesehen übernommen worden. So klingen manche Formulierungen des 'Alice‘ nicht anders als die sich wiederholenden Ankündigungen eines Raumschiffs, das sich in das Wunderland des „Anderen“ senden will, während der genaue Wortlaut jener Meldungen denen, die die entsprechenden Bücher kannten, allzu vertraut und trotz gegenteiliger Behauptung auch künstlich vorkommen mußte.

In Westdeutschland hat es Erfahrungen mit halbillegalen Radios in einem vergleichbaren Ausmaß nicht gegeben. Diejenigen, die es gelegentlich über einen Sender mit Zeitzünder und fertiger Kassette versuchten, hätten ihre Kassetten ebenso gut vervielfältigen und verbreiten können. Meines Wissens hat man augenblicklich nur - das ist kein Scherz - in Ostfriesland eine gewisse Vertrautheit mit dem illegalen Medium, und für wenige Tage war es auch in Hamburg einmal anders.

Als der Senat der Stadt im Herbst 1987 die Bewohner an der Hafenstraße mit allen Mitteln der öffentlichen Medien und der staatlichen Gewalt zu provozieren begann, um, koste es, was es wolle, den rechtsfreien Raum der Polzeistationen auf dieses kleine Wohngebiet auszudehnen, sendete aus den Häusern plötzlich ein Radio. Auch damals kannten die Hörer gewiß die Musik, weil sie viele der gespielten Schallplatten selbst schätzten, oder die Parolen und die Stereotypen der Erklärungen, weil sie von monotenen Flugblättern abgelesen wurden, aber innerhalb der Autobahnlandschaft des etablierten Rundfunks waren diese Sendungen eine erhholsame Störung. Ob es die Notsituation war, Dilettantismus, manchmal nur Ermüdung oder einfach Überschwang, Alkohol oder ander Drogen, das Radio Hafenstraße forderte die Beteiligung heraus, inspirierte zum offenen Umgang mit dem Sender und wurde gerade in den Momenten, in denen es zu lachen oder zu lallen begann, in denen sich Unbefangene ans Mikrophon drängten, amüsant. Man hörte ins Studio hinein; es gab keine Angst vor Pausen und keine eitle Bemühung, sich mit irgendeinem privaten Floh im Ohr anderer zu profilieren.

Gruber berichtet im Kapitel „Eine schmutzige Sprache“ von ähnlichen Erfahrungen aus Bologna. Ohne diesen Sand zwischen den Zähnen wird es wohl kaum gelingen, den richtigen Ton, eine eigene Sprache zu finden, und das ist gerade heute immer dringlicher: Mehr denn je richtet sich das öffentliche Mikrophon nach außen, um irgendeine „Stimme von der Straße“ zu Wort kommen zu lassen und um insgesamt ein demokratisches Geräusch - hörerfreundlich und umweltbewußt - zu vermitteln. Und wie oft versuchen die Gefragten, sich zunächst an einem disziplinierten, wohlgeordneten Satz mit den für bürokratische Umstände typischen Knickstellen oder sprechen sich in den unvermeidbaren Grüßen an den Onkel die Aufregung von der Seele. Ein ähnliches Verhalten breitet sich mittlerweile auch in den sogenannten „offenen Kanälen“ aus.

Tatsächlich geht es nicht ohne die „schmutzige Sprache“, d.h. es geht wohl auch nicht ohne ein nervöses Gedränge im Studio, eine gewisse Illegalität. Klemens Gruber mag bei seiner Analyse ein wenig zuviel ans Medium Botschaft-Medium, an die „Wunschmaschine“ oder an eine „unendliche Zirkulation des Begehrens“ geglaubt haben, aber sein Buch öffnet den Zugang zur gesamten medientheoretischen Diskussion, und es liefert gleichzeitig eine nützliche Dokumentation der phantasievollen Aktionen im Italien der siebziger Jahre, als man dort den Sand ins Ohr streute, um die Kommunikationsapparate knirschen zu hören. Sie waren der Hoffnung verbunden, daß sich eine schon 1942 von Andre Breton geäußerte Befürchtung nicht bestätige: „Das 20.Jahrhundert wird eines Tages als ein verbaler Alptraum erscheinen, als delirierende Kakophonie. Man sprach mehr, als man jemals zuvor gesprochen hatte - denken Sie nur an die Rundfunksender, die nicht mehr schweigen können, die das Wort nach Sekunden bemessen, gleichgültig ob es Hörer gibt oder nicht; eine Zeit, in der sich die Wörter schneller als in jedem anderen Jahrhundert der Geschichte verbrauchen, eine Zeit der immensen Prostitution des Wortes.“

Roberto Ohrt