Chaos statt Kaufrausch

■ Neue Unübersichtlichkeit in der DDR: Lebensmittelläden überfüllt, Luxusboutiquen und Taxis leer

Berlin (taz) - Bedächtig schiebt die Frau ihren Einkaufswagen durch die Ostberliner Kaufhalle. Immer wieder bleibt sie stehen, betastet ein Päckchen Kaffee, taxiert den Preis, legt es zurück, greift zu einer anderen Marke, vergleicht, dreht die Packung um, legt sie zurück, schiebt weiter...

So wie ihr geht es wohl den meisten DDR-Bürgern am ersten Tag nach der Währungsunion. Über Nacht hat sich das Warensortiment von Ost auf West gewandelt, Sortimente und Preise sind so ungewohnt wie unterschiedlich. Vor allem die Alten, die jahrelang die gleichen Produkte aus dem Regal geholt haben - ob es nun Club Cola war oder Spee, das Waschmittel - haben ihre Schwierigkeiten. Wie sollen sie sich auch zurechtzufinden, zumal viele Läden angesichts der hübscheren Verpackungen der westlichen Konkurrenzwaren DDR -Produkte nur noch als Feigenblatt oder überhaupt nicht mehr führen. Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs), deren Gemüse niemand mehr haben will, deren Schweine kein Schwein mehr kauft, werden es bald zu spüren bekommen.

Die chaotischen Verhältnisse, die die Währungsunion auf der Produktionsebene auslösen wird, hat sie auf der Konsumtionsebene schon hergestellt. Die Preise sind so unterschiedlich hoch wie die Schlangen lang. Lebensmittelläden platzen vor Menschen, Luxusboutiquen gähnen vor Leere - wenn sie denn überhaupt die Umstellung des Warensortiments schon geschafft und die Türen geöffnet haben.

Besser als die berühmten warmen Semmeln - der Brotpreis hat sich über Nacht ungefähr verdoppelt - gehen die westlichen Billigschuhe im Kaufhaus „Centrum“ am Ostberliner Alexanderplatz. Aber die teureren Sandaletten und Stiefel im nahen Potsdam, die ebenfalls aus dem Westen stammen, will keiner ohne Preisabgleich mit dem Westberliner Angebot kaufen. Schuhe aus der DDR hingegen stehen in der letzten Ecke oder werden so verramscht wie die Ost-Fernseher, die nun statt 2.000 für 200 DM über den Ladentisch gehen. Der Ausverkauf ist noch lange nicht zu Ende.

Es wird auch wohl auch noch eine Weile dauern, bis sich die Preise vereinheitlicht haben. 3,80 DM für ein Mineralwasser in einer Imbißbude oder einen Kaffee in einem Straßenrestaurant - das zahlt nur jemand, der weder Durchschnittspreise noch die Skrupellosigkeit westlicher Geschäftemacher kennt. Und der noch nicht drauf angewiesen ist, jede DM, dieses unbekannte Wesen, umzudrehen. Die ersten Folgen eines möglichen Sparrausches der DDR-Bürger die in den kommenden Zeiten der Arbeitslosigkeit etwas übrig haben wollen - sind im Straßenbild schon jetzt zu spüren. Taxis stehen ohne Kundschaft herum, Kneipen bleiben halbleer. Auf dem Prenzlauer Berg, einem von alternativem Jungvolk bewohnten Altbauviertel, sind bereits die ersten Leuchtreklamen eingeschmissen.usche