Von Erbsen und gerüchteträchtigen Gebieten

■ Ein Gespräch mit Kultursenatorin Anke Martiny über Erfahrungen und Perspektiven ihrer sozialdemokratischen Kulturpolitik

taz: Frau Martiny, Sie sind jetzt über ein Jahr im Amt. Inzwischen haben sie sicher einiges praktisch gelernt, Sie haben Abstriche von Ihren ursprünglichen Vorstellungen machen müssen, Sie sind auch sehr angegriffen worden. Fühlen Sie sich zu Recht angegriffen? Wie sieht jetzt Ihr Konzept gegenüber Ihrem ursprünglichen aus.

Anke Martiny: Zunächst habe ich natürlich die Verwaltungsabläufe kennengelernt. Meine Vorstellung damals war, daß die relativ schnell gehen müßten - aber es geht nichts schnell. Auch die Abstimmungsprozesse haben sich als schwierig herausgestellt. Und natürlich sind wir an manchen Punkten durch die Entwicklung Berlins und Deutschlands einfach auch überrollt und kalt erwischt worden. Dann habe ich gelernt, daß manche Vorgaben im Koalitionspapier - das bezieht sich insbesondere auf den Mediensektor - nicht sehr praktikabel waren. Ich glaube zum Beispiel nicht, daß es gelingen kann, einer Vorgabe zu folgen, die da sagte, eine aus den beiden Parteien SPD und AL zusammengesetze Kommission erarbeitet ein Mediengesetz. Das „Das ist ein sehr gerüchteträchiges Gebiet, wo hier in Berlin die Kultur blüht oder eben auch nicht blüht.“

konnte so gar nicht funktionieren. Dann habe ich gelernt, daß in dieser Behörde sehr viele, ganz ungeheur engagierte und kulturpolitisch versierte, wirklich sehr, sehr tüchtige Mitarbeiter tätig sind. Wenn immer so auf den Beamten herumgehackt wird, kann ich das durch die Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, wirklich nicht bestätigen. Und die Materie ist, da man es bei den Künstlerinnen und Künstlern mit lauter Prinzessinnen und Prinzen auf vielen Erbsen zu tun hat, schwierig, besonders in dieser Stadt. Denn hier kann man nicht nur zum Ortstarif stundenlang telefonieren, sondern man begegnet sich auch überall. Das ist ein sehr gerüchteträchtiges Gebiet, wo hier in Berlin die Kultur blüht oder eben auch nicht blüht. Das ist oft problematisch, weil dadurch so kurzfristig gearbeitet „Wir haben eine Fülle von Institutionen im Kulturbereich, die strukturell unterfinanziert sind.“

wird: Ein Thema wird hochgezogen, aufgeplustert, und dann sackt es zusammen, es wird dann monatelang nicht mehr darüber geredet, und mit einem Mal ist es wieder da.

Woran denken Sie dabei?

Nehmen Sie den Gropius-Bau und den Streik des Aufsichtspersonals wegen der Abendöffnungszeiten. Oder die Situation der Ufa-Fabrik, wo man eigentlich sehr langfristige Konzepte braucht, wo man zäh und mühselig ackern muß, weil wir eine Fülle von Institutionen im Kulturbereich haben, die strukturell unterfinanziert sind Einrichtungen im Bereich Tanz, Neuköllner Oper, Gropius-Bau, Ufa-Fabrik, Grips-Theater. Und wenn die Probleme dann an einem Punkt hochkochen, findet man oft nur eine kurzfristige Lösung, und bei nächster Gelegenheit geht es wieder los.

Volker Ludwig vom Grips-Theater hat Ihnen gerade vorgeworfen, Sie wären eine Finanzsenatorin und keine Kultursenatorin...

Das ist Quatsch.

Jenseits aller Polemik: Ist das nicht etwas, was man in dieser Zeit gelernt haben könnte, daß das Geld alles andere an die Wand spielt?

Nein, das ist ein häufig sehr naheliegender Vorwurf, und in der Vergangeheit hat es ja auch so funktioniert. Wenn man laut genug schrie, dann war die öffentliche Atmosphäre so aufgeschaukelt, daß man dann das Geld bekam, was man brauchte. Das war ein bißchen der Arbeitsstil von Hassemer, der so seine Probleme anscheinend gelöst hat. Sie wurden aber nicht gelöst.

Sehen Sie im Moment überhaupt einen Spielraum für eine individuelle Kulturpolitik?

Das denke ich schon, aber das ist eine langfristige Geschichte. Andererseits kann kein Mensch sagen, welche Situation wir im nächsten Jahr haben werden. Wir können nicht die Probleme dieses bankrotten Staates lösen. Aber wir sind gezwungen, nach den Gesamtberliner Wahlen „Die kulturellen Inhalte dürfen nicht allein von der Verwaltung vorgegeben werden.“

einen Gesamtberliner Haushalt im nächsten Jahr zustande zu bringen. Der Ostberliner Teil muß dann aus Bonn mitfinanziert werden und kann nicht aus dem Etat von West -Berlin abgezweigt werden. Was eine übergreifende kulturpolitische Konzeption betrifft, ist es grundsätzlich so, daß die kulturellen Inhalte nicht allein von der Verwaltung vorgegeben werden dürfen. Denn das wäre immer hart an der Grenze zur Zensur. Ich kann nur die generelle Linie dessen angeben, was ich kulturell für Berlin erhalten möchte: Der Reichtum Berlins liegt in seiner Vielfalt von Spitzenkultur und dezentraler, bezirklicher Kultur und freier Gruppenarbeit. Das wird sicher das strukturell schwierigste Problem in dieser Umbruchsituation sein. Gerade den freien Gruppen kann man nicht noch etwas wegnehmen. Aber für die Erhaltung dieses Gemisches werde ich mich ganz stark machen. Der zweite Punkt ist, daß man das verstärkt aufnimmt, was im Dezentralen erwächst. Zum Beispiel in Reinickendorf: Da war bisher fast nur das Etablierte, und da kümmern sich jetzt Leute darum, daß da etwas entsteht. Aber wenn man dezentrale Kulturpolitik verficht, ist die ja der eigenen Einflußnahme weitgehend entzogen.

Sind die Kunstämter als wichtigste Instanz wirklich die beste Lösung? Es gab ja auch Ansätze von größeren dezentralen Projekten: das Kulturhaus Spandau oder das Haus im Böcklerpark zum Beispiel. Sollte man in eine ähnliche Richtung weiterarbeiten?

Wir sammeln Erfahrungen und haben zum Beispiel gelernt, daß man die größeren dezentralen Kultureinrichtungen, die die ganze Stadt erreichen, abkoppeln muß von der bezirklichen Mittelvergabe und haushaltstechnisch anders berücksichtigt.

Wenn der 9. November nicht dazwischengekommen wäre, hätte man sich sicher noch lange detailliert über dezentrale Kulturarbeit Gedanken machen können. Mittlerweile sind aber die Basis, die Frauen, die Emigranten - nicht nur in der kulturpolitischen Diskussion - völlig aus dem Blickfeld geraten, und Berlin war beispielsweise wohl schon lange nicht mehr so sehr vom Rassismus bedroht wie jetzt. Wäre es nicht wichtig, dies gerade in der Kultur wieder zum Thema zu machen - als umgekehrter Akzent gegen all die Diskussionen um die deutsche Nationalkultur?

Wir haben schon mal im Haushalt im Bereich „Kulturelle Aktivitäten von ausländischen Mitbürgern“ nichts weggenommen. Und es wird im Oktober im Haus der Kulturen eine breit verankerte Veranstaltung geben, ein großer ganztägiger Kongreß mit internationaler Besetzung und spannenden Namen, wo auf den rein praktischen Beitrag der Ausländer in Berlin für die Lebendigkeit der Berliner Kulturlandschaft hingewiesen wird und auf die Notwendigkeit dieses störenden Elements der Ausländer für die intellektuelle Spannung in dieser Stadt. Sonst würde die vor sich hin dümpeln wie in München. Und ich selbst will im November wahrscheinlich im deutsch-italienischen Begegnungszentrum in der Villa Vigoni auch auf dieses Thema als Berliner Kultursenatorin aufmerksam machen. Das Problem des Rassismus ist ja auch in Italien sehr stark spürbar.

Das klingt alles sehr akademisch. Sollte man nicht doch lieber versuchen, hier in der Stadt eine breitere Diskussion von seiten der Kultur in Gang zu bringen. Ein Beispiel: Der Skulpturenboulevard hat eine breite Diskussion über Kunst in Gang gesetzt, die es zuvor so nie gegeben hatte. Müßte es derartiges jetzt nicht in Richtung Multikultur geben?

Wenn jemand ein solches Projekt machen wollte, der müßte das Geld mitbringen, weil ich es in diesem Haushalt nicht habe. Ich kann mich nur auf die bewährten Träger stützen, und da passiert ja auch etwas. Es gibt wieder „Heimatklänge“ im Tempodrom, und es gibt im Haus der Kulturen der Welt entsprechende Veranstaltungen. Wenn jemand kommt und „Ich würde 3,5 Millionen für eine Van-Gogh-Ausstellung in der gegenwärtigen Situation nicht rechtfertigen wollen.“

in dieser Richtung etwas veranstalten möchte, dann finde ich gerade diesen Ansatz außerordentlich unterstützenswert. Und was die Frauen angeht: Das ist ein zähes Geschäft, und ich versuche Einfluß zu nehmen, wo ich kann. Ich habe mich sehr für die Nancy-Spero-Ausstellung im Haus am Waldsee mit feministischer Kunst und für die Ausstellung über Frauen im Design stark gemacht. Und im Augenblick sind wir heftig dabei, Jurys umzubesetzen, nach Möglichkeit fifty-fifty.

Wenn Sie sozialdemokratische Kulturpolitik auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen auf eine kurze Formel bringen wollten, wie würde die lauten?

Ich denke, daß die Kulturpolitik jetzt sehr viel politischer ansetzen muß, als das vor zwei, drei Jahren noch der Fall war. Weil ich glaube, daß das, was die Kultur leisten muß für das Zusammenwachsen der beiden Staaten, für die Befriedung und für die Kanalisierung von Aggressionen, Haß und Neid enorm wichtig ist. Das kann im Grunde nur kulturell aufgearbeitet werden. Und in diese Richtung wird man wohl die Akzente dann auch setzen müssen. Ich würde zum Beispiel 3,5 Millionen für eine Van-Gogh-Ausstellung unter den gegenwärtigen Umständen nicht rechtfertigen wollen. Dieses Geld müßte man für aufklärerische Projekte und nicht für solche lukullischen einsetzen.

Kann man vor dem Hintergrund der Welle von Haß, die hier durch Berlin schwappen könnte, einen Bau wie das Deutsche Historische Museum verantworten.

Wir versuchen mit aller Kraft, den Bundeskanzler davon zu überzeugen, daß das, was vom Museum bisher existiert nämlich der Ar „Man muß das Gelände am Reichstag insgesamt neu planen.“

beitsstab um Herrn Stölzl, der Ankaufsetat und die Unterbringungsmöglichkeiten - für die nächsten Jahre ausreichen muß. In jedem Fall muß man das Gelände um den Reichstag insgesamt neu planen und kann - schon aus stadtplanerischen Gründen - nicht mit dem einen Projekt vorpreschen. Von den Kosten einmal ganz abgesehen.

Also in den nächsten fünf Jahren kein Baubeginn?

Was das Projekt „Deutsches Historisches Museum in Berlin“ angeht, muß ich sagen, daß dies der richtige Ort ist und jetzt, wo die Mauer gefallen ist, auch die richtige Zeit. Und auch mit der Konzeption, wie sie jetzt ist, kann man leben.

Mit der Konzeption leben können ist eine Sache. Die andere Frage ist doch, ob ein so großes und teures nationales Projekt, das die Probleme, die jetzt entstehen, gar nicht berührt, nicht sogar kontraproduktiv für die Bearbeitung der sozialen Spannungen sein könnte.

Wir haben solche Argumente dem Bundeskanzler vorgetragen. Der ist jetzt am Zuge und muß sich dazu äußern.

Ihr Vorgänger Volker Hassemer, der jetzt den DDR -Kulturminister „Man muß vieles tun, um die autoritären Sturkturen in der DDR abzubauen.“

berät, will sich dort dafür einsetzen, daß nicht angesichts der großen wirtschaftlichen Probleme in der DDR ausgerechnet an der Kultur gespart wird. Im Gegenteil: Jetzt müßte so viel Geld wie möglich in die Kultur gehen. Könnte Ähnliches auch für West-Berlin gelten?

Ich gehe da von einem weiten Kulturbegriff aus und von vielen Dingen, für die ich als Westberliner Kultursenatorin nicht zuständig bin. Bespielsweise muß man vieles tun, um diese autoritären Strukturen, die in der DDR über 40 Jahre gepäppelt worden sind, allmählich abzubauen.

„Man muß in der DDR frühkindliche Musikerziehung machen, man wird das Volkshochschulwesen demokratisch auf eine breite aufklärerische Basis stellen, man muß etwas für die Bibliotheken tun.“

Das bedeutet, man wird vom Spitzensport zum Breitensport, von der Spitzenmusikpflege zur Breitenmusikpflege kommen müssen. Man muß frühkindliche Musikerziehung machen, man wird das Volkshochschulwesen demokratisch auf eine breite aufklärerische Basis stellen, man muß etwas für die Bibliotheken tun. Man muß Möglichkeiten schaffen, um eine kulturelle Infrastruktur, die jedem zugänglich und mehr als Fernsehen ist, auf die Beine zu stellen.

Sie sprechen jetzt vom Osten. Im Westen sieht's ganz anders, aber auch nicht viel besser aus. Auch hier wird sich die Situation sozial verschärfen. Die Arbeitslosigkeit wird ja nicht an der Friedrichstraße haltmachen.

Die Bundesanstalt für Arbeit wird ein breites Umschulungs und Qualifizierungsprogramm fahren. Ich werde besonders den Finger darauf legen, daß eben auch für die „Die Chancen, daß es auch nach den Gesamtberliner Wahlen eine rot-grüne Koaltion gibt, stehen nicht schlecht.“

künstlerischen Berufe solche Kurse und Auffangmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden.

Im Januar, sagen Sie, finden Gesamtberliner Wahlen statt, und niemand weiß, was dabei herauskommen wird. Und alles, was bis dahin nicht von Rot-Grün erledigt worden ist, wird dann womöglich nie mehr zustande kommen. Stichwort Mediengesetz. Es wird kein neues mehr geben. Ist das nicht ein Trauerspiel?

Ich gehe davon aus, daß durch die mühseligen, aber produktiven Diskussionen dieser Legislaturperiode die Chancen, daß es nach der nächsten Wahl auch für ganz Berlin eine rot-grüne Koalition gibt, nicht schlecht stehen. Die Möglichkeit, ein rot-grünes Mediengesetz für ganz Berlin zu verabschieden, ist zwar nicht bis Dezember/Januar, aber danach gegeben. Und deswegen werde ich auf der Grundlage des jetzt eingebrachten Gesetzes bis Herbst einen Referentenentwurf erarbeiten und den dann zur Diskussion stellen.

Ein anderes, eigentlich typisch rot-grünes Thema wäre die Gestaltung des Gestapo-Geländes. Liegt es am Finanzsenator, daß die Frage der weiteren Gestaltung nach Bonn in Richtung Innenminister Schäuble verschoben worden ist? Weshalb, wenn nicht wegen der Kosten, haben Sie das Thema aus der Hand gegeben?

Ich verstehe diesen Ansatz gar nicht. Ich bin auf der Expertenanhörung im Martin-Gropius-Bau ja heftig angegriffen worden. Mein Gedankengang war genau umgekehrt. Schon im vergangenen Sommer habe ich dem Bundesinnenminister geschrieben, dies könne nicht als Berliner Lokalangelegenhiet betrachtet werden. Dies sei eine nationale Stätte, und er möge sich doch bitte dazu einmal äußern. Dennoch verstehe ich die Ängste. Denn mit dem historisch bedeutsamen Gelände ist über 40 Jahre äußerst fahrlässig und unverantwortbar umgegangen worden. Insbesondere die Konservativen haben jede Möglichkeit genutzt, das wieder auf einen Verschiebebahnhof zu bringen. Ich verstehe auch das Interesse der Geschichtswerkstätten, die sich ans Werk gemacht haben. Aber: Das politische Interesse muß doch sein, daß mit diesem Gelände endlich politisch verantwortlich umgegangen wird und es dann nicht als eine Berliner, sondern als nationale Angelegenheit behandelt wird und der Bund und die DDR-Regierung mit rein müssen.

Die Kräfteverhältnisse im Bund sind ja völlig andere. Wenn der Bund nun sagt: Sie bekommen ihr Gestapo-Gelände, aber dafür müssen Sie das historische Museum oder sonst etwas Unerwünschtes in Kauf nehmen. Gibt man da nicht das Gelände als politische Manövriermasse frei?

Diese Angst ist mir aggressiv entgegengebracht worden. Was ich dabei nicht verstehen kann, ist, warum sich diese aus der Vergangenheit hergeleitete Furcht ungebrochen auf diesen Senat und mich als Senatorin überträgt.

Es hat ja keiner Angst vor Ihnen - es ist ja eher die Angst vor Schäuble...

Die Bundesregierung hat auf Betreiben des Regierenden Bürgermeisters immerhin schon die Wannsee „Ich finde, daß wir Hauptstadt werden müssen.“

villa als nationales Denkmal akzeptiert. Und der Bundesinnenminister teilt meine Meinung, daß das Gestapo -Gelände keine Berliner Angelegenheit sein kann. Im September werden Schäuble und ich zusammenkommen, um über diesen Komplex der nationalen Gedenkstätten weiter zu beraten. Es ist erheblicher öffentlicher Druck da, und das ist auch gut so.

Finden Sie auch, daß wir Hauptstadt werden sollen?

Ich finde, daß wir Hauptstadt werden müssen. Erstens: Die Teilhauptstadt, mit der wir jetzt zusammengehen - die ist es bereits. Aus deren Perspektive spricht nichts dafür, eine Hauptstadt Bonn zu akzeptieren. Das wäre nun wirklich der Anschluß. Und aus der ausländischen Perspektive - zum Beispiel aus der italienischen - sieht das so aus: 40 Jahre lang redet dieses Land darüber, daß es wiedervereinigt werden will und die Hauptstadt Berlin wieder haben will. Und nun reden wir plötzlich von der Hauptstadt Bonn - also die halten uns doch für bekloppt.

Interview: Gabriele Riedle und Thomas Kuppinge