Ein Hauch Bayreuth und eine Prise Schulpforta

■ Fotografien des Tschechen Ivan Pinkava in der Weißenseer „Brotfabrik“

Wie viele Vögel sterben mußten, bevor Ivan Pinkava mit ihren weißen Flügeln und Prags zarten Jünglingen seine elegischen Träume zu Bildern gerinnen ließ, bleibt verborgen unter Seidentüchern und Tigerfellen wie die Scham seiner Modelle. Der 1961 geborene Tscheche, der nach Ausstellungen in Köln, Arles und Houston/ Texas seit Sonntag seine Arbeiten in der Ostberliner „Brotfabrik“, dem ehemaligen FDJ-Jugendklub „Spitze“, zeigt, steht eigentlich, glaubt man seinen Porträts, in der Tradition psychologisierender Bildnisfotografie. Doch während deren deutscher Protagonist, Hugo Erfurth, in den zwanziger Jahren noch auf zahllose Genies stieß, denen die Kamera und der Mann dahinter nicht genauso lästig waren wie Obstfliegen im Cocktailglas, sind Pinkavas Helden, so sie welche sind, nicht gewillt, die Stirn für Stunden kraus zu ziehen oder im Requisitenrausch die Zeit zu vergessen. So sieht Allen Ginsberg auch nur aus wie Allen Ginsberg, vom Fotografen dazu verdonnert, die Schar der Namenlosen und dem Künstler Willigen zu rahmen. Und mit denen reist Pinkava nun durch die Ahnengalerie der abendländischen Geistesgeschichte und inszeniert eine die Schmerzgrenze berührende Götterdämmerung.

Pennälerträume werden wahr: ein blasser Knabe, die blonden Locken bis in den Nacken, die Stirn gegen den Himmel erhoben, die Schulter frei und den Wahnsinn noch vor sich, ein Hauch von Bayreuth und eine Prise Schulpforta, das ganze Drama dem Vater des „Zarathustra“ gewidmet. Zwei Schritte neben Nietzsche noch ein Bild, noch ein Drama, nur diesmal für den guten Oscar Wilde. Das Dandytum als letzte Offenbarung des Heroismus und dazwischen die Jungs von der Moldau, so edel und angestrengt schön, als glaubten sie noch heute an Baudelaires Worte.

Auf Pinkavas Fotografien regiert die Einsamkeit und der Zwang, aus der Gegenwart zu fliehen. Staub, so scheint es, liegt auf allen Gewändern, zuweilen koloriert der junge Tscheche verbissen und doch sanft gegen das dem Medium entspringende Gespenst der Nichtkunst. So in der zehnteiligen Folge Sei gut oder sei böse, in der die sich unter der Last diverser Schmuckstücke rekelnden Frauen und Männerleiber vom Künstler sanft angetönt wurden. Nur gewinnen sie dadurch weder an Dominanz, noch raubt es dem Ganzen den Anschein von bodenloser Trivialität, der immer dann besonders ins Auge springt, wenn die Regie Pinkavas die Darsteller zur Staffage verkommen läßt.

Doch Kitsch kann nach der Sintflut der authentischen Revolutions- und Mauersturm-Kunstfotografien so erholsam wirken wie ein Stromausfall während des Weltmeisterschaftsendspiels. Und Pinkava steht damit nicht allein, sondern im Schatten seines Landsmannes Frantisek Drtikol. Nur daß zwischen Drtikols symbolistischen Ergüssen und Pinkavas Elegien achtzig Jahre Fotografiegeschichte liegen, die nicht mehr, aber auch nicht weniger als den Unterschied zwischen Original und Plagiat markieren. Das wissen offenbar auch jene Frauen, denen Ivan Pinkava die Freiheit gewährt, ihr Gesicht zu zeigen. Hier plötzlich endet der Maskenball, und aus den Traumgespinsten werden Menschen. Andre Meie

Ivan Pinkava, noch bis zum 29.Juli, Fotogalerie in der Brotfabrik, Heinersdorfer Straße 58, Berlin 1120