piwik no script img

Magistrat löst Neonazi-Hochburg auf

■ Rechtsradikale verlassen freiwillig die Weitlingstraße - und werden, über kleinere Wohnungen verteilt, dezentral angesiedelt / Debatte in der Stadtverordnetenversammlung / Bündnis 90 will Gespräch mit rechtsradikalen Jugendlichen und Autonomen

Ost-Berlin. In die Auseinandersetzung um das Problem des Rechtsextremismus in Ost-Berlin kommt Bewegung: Die rechtsradikalen BesetzerInnen der Ostberliner Weitlingstraße 122 wollen nach einem Gespräch mit Mitarbeitern des Magistrats das Haus verlassen. Das gab gestern der Stadtrat für Inneres, Thomas Krüger (SPD), bekannt. Die BewohnerInnen sollen statt dessen Einzimmerwohnungen, „die dezentral über die Stadt verteilt sind“, erhalten. Bereits vor wenigen Wochen hatten sich Unterhändler Krügers und die rechtsradikalen BesetzerInnen der Weitlingstraße 117 auf ein ähnliches Verfahren geeinigt. Das Problem Weitlingstraße sei somit „durch Gespräche ohne Polizeieinsatz vom Tisch“, erklärte Krüger in der aktuellen Stunde der Stadtverordnetenversammlung. Krüger betonte, seine Abteilung wolle sicherstellen, daß die Leute nicht auf der Straße sitzen. Der rechtsextremen „Nationalen Alternative“ (NA), die in den besetzten Häusern der Weitlingstraße untergebracht war, werden vom Magistrat aber keine Räume zur Verfügung gestellt. „Wir wollen eine Politik der Kommunikation und keine Knüppel!“ sagte Krüger.

Auch die Fraktionsvorsitzende vom Bündnis 90, Ingrid Köppe, wandte sich in der aktuellen Stunde gegen einen gewaltsamen Polizeieinsatz oder ein Verbot der NA. Damit verdränge man das Problem in den Untergrund. Köppe und andere Mitglieder vom Bündnis 90 hatten am Tag zuvor die BesetzerInnen der Weitlingstraße besucht und mit ihnen vereinbart, zu einem Gespräch mit Autonomen zusammenzukommen. Die Diskussion zwischen links und rechts solle in der kommenden Woche auf „neutralem Boden und zunächst ohne Presse stattfinden“, teilte eine Mitarbeiterin der Fraktion ergänzend mit. In ihrer Rede mahnte Köppe die Abgeordneten, „Ursachenforschung zu betreiben, bevor man jemanden verurteilt“. Die Lebensläufe von Autonomen und Skinheads sähen zum Teil sehr ähnlich aus. So sei ein Funktionär der NA während des „Druschba-Festes“ im Jahre 1987 in Lichtenberg nach dem Ruf „Die Mauer muß weg“ verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. In der Urteilsbegründung habe es geheißen, der Angeklagte sei „eine Distel im sozialistischen Rosengarten“. Einem Autonomen, den sie kenne, sei es ähnlich ergangen. Als er nach einem Diskobesuch von der Polizei nach seinem Ausweis gefragt wurde, hätten ihm die Beamten den Arm umgedreht. Er habe sich gewehrt und sei ebenfalls in den Knast gewandert.

Weniger Kopfarbeit in der Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Jugendlichen leistete der CDU-Abgeordnete Hennig. Das Bündnis 90 sei für die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Demonstration gegen Rechtsradikalismus mitverantwortlich, weil es mit zu der Demo aufgerufen habe. Besonders wütend war Hennig darüber, daß die Geschäftsstelle der Lichtenberger CDU nach der Demo demoliert worden sei.

ccm

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen