Reine Projektion

■ Otar Iosselianis Afrika-Film „Und es ward Licht“

Wenn der Film tatsächlich so ironisch wäre, wie manche Kritiker nach seiner Premiere bei den letzten Filmfestspielen in Venedig zu berichten wußten, würde er zwar so anfangen, wie er anfängt: Ein riesiger Baum im afrikanischen Dschungel wird gefällt, ein Bulldozer zieht den Baum zum Laster, der Laster bringt ihn zum Schiff. Soweit Iosseliani. Leider geht es nicht weiter, wie es es weitergehen müßte: Der Baum wird zu Brettern zersägt, die Bretter werden zu Streichhölzern geraspelt, Iosseliani nimmt ein Streichholz, zündet sich eine Pfeife an, lehnt sich zurück und erzählt seine Geschichte von der Zerstörung der Natur.

So ironisch ist Iosseliani also doch nicht. Allzu rousseauistisch, nur nicht so rührend wie bei Rousseau, ist seine Parabel von der edlen wilden Naturverbundenheit des afrikanischen Dschungeldorfs, dem die Motorsäge der abendländischen Zivilisation blüht. So ein afrikanisches Dorf, wie er es uns vorführt, hat es garantiert nie gegeben. Darin regieren die Frauen, benutzen Krokodile als Boot und jagen mit Pfeil und Bogen - Amazonen, allerdings, was Iosseliani gern und deutlich zeigt, mit zwei Brüsten. Währenddessen waschen die Männer und machen die Hausarbeit oder liegen einfach faul rum. Die Medizinfrau kann abgeschnittene Köpfe wieder aufsetzen und Tote lebendig machen. Bei Trockenheit betet sie zum Fetisch, und der Tropenregen fällt tatsächlich - Goldenes Zeitalter, freie Sexualität, Einklang mit der Natur, und der Einbruch der Zivilisation, in der die entmachteten Fetische als Souvenirs am Straßenrand verkauft werden - das Schlußbild des Films wäre die eigentliche Naturkatastrophe.

Seit ein paar Jahrzehnten versuchen schwarze Intellektuelle den weißen klarzumachen, daß Afrika nicht „Natur“, nicht „wild“ ist, daß man einem ganzen Kontinent hinterrücks noch einmal die Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht streitig macht, wenn man ihn als prähistorische Idylle zeichnet, daß Afrika Sprache, Kultur, Gesellschaft ist, musikalische Technik, oral history, medizinische Kunst: kein Naturschutzgebiet, sondern die Wiege der Zivilisation, und damit der mit ihr verbundenen Probleme.

Schon das afrikanische Dschungeldorf ist ein Eingriff in ein ökologisches Gleichgewicht, nicht erst die ausufernde Großstadt mit ihren Autobahnen und Fabriken. Schon für das afrikanische Dschungeldorf mußte Unterholz gerodet werden, und die bunten Tänze und Rituale dienten der Besänftigung der Schlange, die aus ihrem angestammten Nest vertrieben war. Sie sind nicht Natur, sondern eine Zivilisationstechnik, so symbolisch wie eine Kongregation von Politikern gegen das FCKW in Spraydosen. Die Beschwörungsformeln der Medizinfrau sind die Urahnen der wissenschaftlichen, sie sollen wie diese Naturkräfte zivilisatorischen Zwecken gefügig machen.

Rousseau polemisierte gegen die Schrift, die er als das Agens der Naturentfremdung und gesellschaftlicher Kälte und Ungerechtigkeit ansah, indem er schrieb, und hoffte, der Leser würde ihn aus dieser Rechnung schon wegkürzen. Iosseliani polemisiert gegen die westliche Zivilisation in einer Technik, die dort einst als Nebenprodukt der Rüstungsforschung entstand. Das dürfte er, wenn er sie und sich selbst darin nicht verleugnete. In Jean Rouchs Dokumentarfilmen über Afrika zum Beispiel ist die Kamera Akteur. Durch sie sieht man nicht nur eine bestimmte Situation, sondern auch - manchmal -, wie sie durch die Anwesenheit der Kamera modifiziert wird. Das Bild vom afrikanischen Dorf, das uns Iosselianis Kamera ausmalt, ist dagegen nicht reflektiv, sondern rein projektiv, also manipuliert. Darüber kann auch der angebliche „hintergründige Witz“, mit dem er seine Dorfgeschichten erzählt, nicht hinwegtäuschen. Ganz gewiß hat Iosseliani recht zu glauben, daß es in Afrika ein Wissen über „Natur“ gab, für das die westliche Zivilisation keine Begriffe hat. Nur wird er ihm mit seiner Technik nicht auf die Spur kommen. Der Tropenregen in Und es ward Licht ist ein Priestertrug, das sollte man nicht vergessen. Er stammt aus Iosselianis Regenmaschine.

Thierry Chervel

Otar Iosselianie: Und es ward Licht, Kamera: Robert Alazraki, Saly Badji, Binta Cisse, Sigalon Sagna, Frankreich 1989, 106 Min.